GLOBALISIERUNG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

GLOBALISIERUNG (Begriff)

Ausbeutung/Globalisierung

Ursachen gegenwärtiger und künftiger Kriege

UMWELTKOSTEN / FOLGESCHÄDEN DES    WIRTSCHAFTSWACHSTUMS

Bushs Demokratisierung des Nahen Ostens

EU-Beitritt der Türkei?

Not-wendige Veränderungen, global

„Bürger für Abnabelung Europas von USA ?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Unter GLOBALISIERUNG versteht man die Zunahme internationaler Wirtschaftsbeziehungen und -verflechtungen und das Zusammenwachsen von Märkten für Güter und Dienstleistungen über die Grenzen einzelner Staaten hinaus, wobei internationale Kapitalströme und die Diffusion neuer Technologien eine große Rolle spielen (…) Neben der seit langem zunehmenden Integration des Welthandels für fertige Produkte kommt es zu einer verstärkten Integration und grenzüberschreitenden Organisation der Produktion und der produktionsnahen Dienstleistungen. Die Absatzmärkte werden global, so allerdings auch die Konkurrenzsituation.

Dies ist eine allgemein gängige Definition aus Lexas Information Network, scheinbar objektiv, wertfrei, eine wissenschaftliche Definition. Globalisierung als ein ökonomischer Prozess. Der übliche Reduktionismus*) unserer westlichen Wissenschaft. Denn Globalisierung bedeutet mehr und noch vieles andere. Franz-Johannes Litsch hat es in einem Essay sehr eindrucksvoll beschrieben.**) Aber das interessiert diejenigen, die die ökonomische Globalisierung betreiben und am meisten davon profitieren, am wenigsten.

Betrachten wir doch einmal diese materielle Seite der Globalisierung! Schauen wir genau hin! Was passiert denn da? Oder – was ist da schon alles passiert? Was hängt womit zusammen?

Nach meiner Auffassung ist die ökonomische Globalisierung, wie sie jetzt stattfindet, eine Fortsetzung des Kolonialismus mit noch wirksameren Methoden. Ein Neokolonialismus, deren Folgen weit katastrophaler sind als die des alten Kolonialismus, der im Altertum verhältnismäßig friedlich begann, als Phönizier etwa 1000 Jahre v. u. Zr. die ersten Pflanzstädte im Mittelmeerraum gründeten, Karthago z. B. Alles andere als friedlich waren dann die Raub- und Eroberungszüge im so genannten Zeitalter der Entdeckungen, dem 15.-17. Jh., beginnend mit der Landung des Kolumbus im Jahre 1492 in Amerika:

Die Eroberung der Amerikas (Nord-, Süd-, Mittel-A.) vollzog sich „in einer ausgeprägten Conquistamentalität, die über die Ureinwohner ungeheures Leid gebracht hat, schrieb der Franziskanerpater Andreas Müller OFM in einer Gedenkschrift zu den Kolumbus-Jubelfeiern im Jahre 1992. „Ganze Völker wurden ausgerottet, Kulturen zerstört, und bis heute gehören die Nachkommen der großen Kulturvölker der Indianer zu den meist recht- und schutzlosen Randsiedlern der Gesellschaft. ***) Teile der heutigen USA waren einmal Kolonien: Englands. Und es gab den Sklavenhandel in den USA, den Handel mit Menschen, bis 1862.

Europäer waren es, die fortan einen Kontinent nach dem andern ausgeplündert und ihre Völker enteignet haben. Auch das deutsche Kaiserreich war daran beteiligt, konnte jedoch mit den großen Kolonialmächten (Frankreich, England, Spanien, Portugal) nicht mithalten und verlor 1918 ihren ebenfalls unrechtmäßig erworbenen Kolonialbesitz.

Die rasante Industrialisierung in Europa und in den USA, die moderne Technik, der Reichtum, fast alles, was  heute unseren materiellen Wohlstand ausmacht, wäre ohne die Sklavenarbeit indigener Völker und ohne die Rohstoffe, die Lebensmittel, die Genussmittel, ohne das Raubgut aus den Kolonien nicht möglich gewesen.

Die Kolonialherrschaft der Europäer wurde in den 60-er Jahren beendet; geblieben ist ein Kolonialismus, der unter dem Namen „GLOBALISIERUNG als ein Segen für alle Menschen angepriesen wird.

Wir sollten uns aber fragen, ob wir nicht auch Nutznießer/innen dieser Globalisierung sind, ob uns das Elend, das sich über den ganzen Planeten ausbreitet, kalt lässt und ob wir das Gewaltpotenzial in uns selber nicht umwandeln müssen in heilsame Energie.

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*) „Reduktionismus, philosoph. Begriff, der eine Wissenschaft bezeichnet, die seit Newton und Descartes komplexe, multikausale Zusammenhänge ignoriert und alle Phänomene, alles Geschehen auf eine einfache Ursache-Wirkung-Linie zurückführt (reduziert).
**) F-J. Litsch: "Buddhismus und Globalisierung" :
http://www.buddhanetz.org/texte/globalisierung.htm
***) Aus: „500 Jahre Indiowiderstand. 500 Jahre Evangelisierung in Lateinamerika. Hsg. Missionszentrale der Franziskaner, Bonn 1990

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ausbeutung/Globalisierung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Leserbrief an die Frankfurter Rundschau zu Beiträgen vom 17. und 7. 8. 01:

  Professor Saake beschränkt seine Kritik an der neokolonialistischen, allein am Profit orientierten Globalisierung auf die massenhafte Arbeitsplatzvernichtung. Er erwähnt nicht die fortschreitende Vernichtung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Beides - Arbeitsplatzvernichtung und Natur- zerstörung -  hat globale Dimensionen und dieselben Ursachen. Beide sind auch Folgen sozial und ökologisch schädlicher Technologien und Technik. Wer kann, wer soll das ändern?

  Ich sehe die Politik weit mehr vom internationalen Finanzkapital und von damit verflochtenen, multinationalen Konzernen beherrscht als Prof. Saake. Sie betreiben die Globalisierung und bestimmen ihren Kurs. Politiker und Parteien, die das nicht akzeptieren, werden ausgetrickst, korrumpiert oder zu "nützlichen Idioten" gemacht. "Nichtkooperative" Staaten werden notfalls militärisch in Schach gehalten. Schon der General und spätere Präsident   D. D. Eisenhower prägte den Begriff Militär-Industrie­-Komplex (MIK) und warnte vor diesem Machtzentrum in seinem Land.

  Mit Hilfe des MIK ist die (ökonomische) Globalisierung vorangetrieben worden. Dadurch wurden soziale Politik und ökologische Ansätze in den einzelnen Staaten immer weiter erschwert und behindert. Eine einigermaßen akzeptable Sozialpolitik gab es im Westen an den Schnittstellen zwischen den Blöcken. Seit der "real existierende Sozialismus" faktisch verschwunden ist, fehlt dieses Korrektiv, und es diktiert das KAPITAL -  unumschränkt. Kyoto und alle Folgekonferenzen zeigen, dass es nicht einmal möglich ist, den Katastrophenschutz global wirksam zu organisieren.

  Das KAPITAL kontrolliert alle wichtigen Massenmedien und beherrscht in aller Welt mit ihrer Wachstumsideologie die ohnehin materialistisch orientierten Menschenmassen. 

 "Wenn wir eine bessere Regierung wollen, müssen wir damit beginnen, unser eigenes Bewusstsein und unseren Lebensstil zu ändern", sagt der buddhistische Mönch, Zen-Lehrer und Philosoph THICH NHÂT HANH aus Vietnam, der dort in den 60-er Jahren einen engagierten Buddhismus praktiziert und später nach Europa mitgebracht hat. Wie er sehe ich keinen anderen Weg zu einer anderen Politik. Wenn wir das Leben auf unserem Planeten erhalten wollen, bleibt uns als Alternative nur eine konsequent ökologische Lebensweise, der mittlere Weg zwischen Askese und Verschwendung. Zu solch einer neuen Politik von unten gehören auch gewaltfreie Demonstrationen gegen die neokolonialistische Globalisierung.  

(FR vom 23.8.01)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ursachen gegenwärtiger und künftiger Kriege:

 AUSBEUTUNG UND VERSCHWENDUNG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"20% der Weltbevölkerung, zu denen wir gehören, verbrauchen rd. 80% der Welten­ergie, 80% der Weltressourcen und sind für 80% aller Emissionen dieser Erde verantwortlich." [IG‑Metallchef Franz Steinkühler im Jan. 88, zit. von Saral Sakar in seinem Aufsatz Es geht ums Überleben in Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur, H.2/89, lt. FR 16.2.89]

 30% der weltweiten Getreideernte werden an Vieh verfüttert = 600 Millionen Tonnen.  840 Millionen Menschen sind weltweit chronisch unterernährt. [Schätzung der FAO, in: Uwe Hoering, Wenn Hunger zur Waffe wird [FR 11.11.96 u. FR 13.11.96]  (Dies sind zwar alte Daten, aber die Relationen dürften sich wohl kaum geändert haben.  Anmerk. D. St.)

Der Energieverbrauch in den USA und Kanada stieg zwischen 1972 und 1997 um 31 Prozent.

US-Rüstungsausgaben 2002 bis 2007:

in Mrd. $

2002 = 350,8 

2002 = 396,1

2004 = 405,0

2005 = 426,2

2006 = 447,5

2007 = 469,6

(Quelle: Greenpeace Magazin  3/ 2002)  

Mit etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung ist Nordamerika für 25,8 Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen in 1998 verantwortlich. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Benzin lag neun Mal höher als im Weltdurchschnitt. Die Zersiedlung der Landschaft und die Ausbreitung der Vorstädte habe zu mehr Individualverkehr geführt, während der öffentliche Nahverkehr vernachlässigt worden sei. Allein in den USA würden jährlich 25,7 Milliarden Liter Benzin in Verkehrsstaus verbrannt. Ein Konsum-Lebensstil, der auf dem Wunsch nach Mobilität, Annehmlichkeiten und Einwegartikeln basiere, habe die Fortschritte bei Energie-Einsparungen und Müllverminderung untergraben. [Laut einer Studie der Umweltorganisation der Vereinten Nationen (UNEP)] (FR 19.8.02)

Erinnern wir uns: Die US-Regierungen unter Bush Vater & Sohn haben das Klimaschutzabkommen von Koyto (1997) nicht anerkannt, obwohl die Vereinigten Staaten selber immer wieder und immer öfter von verheerenden Naturkatastrophen heimgesucht werden, Katastrophen, deren Ursachen auf den Raubbau an der Natur zurückgeführt werden. 

Deutschland:  Die Natur schrumpft täglich um 160 Fußballfelder .

 

Neue Siedlungen und Verkehrsflächen fressen in Deutschland täglich 117 Hektar unberührte Natur. Das entspricht etwa 160 Fußballfeldern. Nach Angaben des Bundesamtes wurden 2001 insgesamt 428 Quadratkilometer Fläche neu bebaut. Das entspricht der Fläche Kölns oder der Hälfte Berlins. Gegenwärtig sind 12,4 Prozent der Fläche der Bundesrepublik bebaut. 7,6 Prozent der Gesamtfläche des Landes sind mit Siedlungen bedeckt. Dass diese Flächen bislang immer schneller wuchsen, lag nicht an einer größer werdenden, sondern an einer anspruchsvolleren Gesellschaft: Vor 50 Jahren hatte jeder Durchschnittsbürger 15 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, heute sind es 42. Auch ein Einkaufszentrum braucht mehr Fläche als drei Tante-Emma-Läden. (FR 31.7.03)

 UMWELTKOSTEN / FOLGESCHÄDEN DES WIRTSCHAFTSWACHSTUMS

BRD: Jhrl. Umweltschäden rd. 120 Milliarden DM [Lutz Wicke, TU Berlin u. Wissenschaftlicher Direktor beim Umweltbundesamt lt. FR 24.8.89] 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bushs Demokratisierung des Nahen Ostens

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

G. W. Bush verkündet eine „Neue Politik für Nahost, nämlich eine "Vorwärtsstrategie für die Freiheit im Nahen Osten" und sieht einen „Wendepunkt in der globalen demokratischen Revolution".  Araber hören nur "Gerede" und Rolf Paasch äußert seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit Bushs und nennt innenpolitische Gründe in einem lesenswerten Kommentar.*

Ich habe noch ein paar Fragen und will versuchen, sie zu beantworten: 

→ Wie steht es um die Demokratie in den USA?

→ Kann man Demokratie herbeibomben?

→ Müssen wir anderen Völkern helfen, sich aus der islamistischen Zwangsjacke zu befreien?

Die Frage der Glaubwürdigkeit, der Rolf Paasch heute in der Frankfurter Rundschau nachgegangen ist, lässt sich am schnellsten mit ein paar Zahlen beantworten:

Verteilung der Ölreserven nach Regionen (in Barrel):

Europa:...............................18,7 Mrd.
Asien / Pazifik...................43,8 Mrd.
Nordamerika:....................63,9 Mrd.
Frühere Sowjetunion:........65,4 Mrd.
Afrika:.................................76,7 Mrd.
Lateinamerika:...................96,0 Mrd.
Naher Osten:.................. 685,6 Mrd.,
davon allein in Saudi Arabien:.........261,8 Mrd.
Vergleiche USA:.................................30,4 Mrd. **

→ Demokratie in den USA?

Ein wichtiges Kriterium ist das Zustandekommen der Wahlen: Während bei uns Spendenaffären für Aufregung sorgen und die Presse, je nach couleur, mit Schlagzeilen versorgen, ist die Spendenpraxis in den Vereinigten Staaten kein Thema, denn das besorgen dort sowieso Banken, Konzerne, Dollarmilliardäre. Weiteres Kriterium: die Wahlbeteiligung: um 50%. Die Hälfte der Wahlberechtigen geht also nicht wählen. Wenn, wie in den USA üblich,  der Wahlsieger gerade mal knapp über 50% der abgegebenen Stimmen erhält,  macht das 25/26% aller Stimmberechtigten. Das ist ein Viertel oder etwas mehr. (Bei uns sieht es bald ebenso aus. Wir bekommen amerikanische Zustände!)

 Die Frage ist nur, wo beginnt, wo hört Demokratie auf? Wenn die Hälfte der Menschen nicht wählt und noch weniger sich außerparlamentarisch oder sonst wie in irgendwelchen (Bürger-)Initiativen engagiert, kann dann von einer „Herrschaft des Volkes überhaupt noch die Rede sein?

 Drittes Kriterium: die Meinungsbildung. In den USA mehr noch als bei uns völlig in den Händen der – privaten!  - Massenmedien. Dieses Meinungsmonopol könnte durch das Internet unterlaufen werden, wenn es gelänge, großes Interesse für die existenziellen politischen Fragen zu wecken, in den USA, bei uns. Die Besucherzahl politischer Foren zeigt ein noch sehr geringes Interesse, obwohl hier jede/r seine/ihre Meinung offen sagen kann. Man lässt sich lieber bei Talkshows was vormachen. Politik wird inszeniert.

Viertes Kriterium. Die demokratischen Freiheiten. Sie werden seit dem „11. September immer weiter eingeschränkt. Die USA tendieren zu einem Überwachungsstaat. 

 Fünftes Kriterium: die Parteien. In den USA gibt es lediglich zwei, und sie unterscheiden sich kaum voneinander.

 Resümee: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind kein demokratisches Vorbild (mehr) für andere Völker.

 → Kann man Demokratie herbeibomben?

 Ich meine NEIN. Sie kann nur von innen her, aus der Gesellschaft, aus dem Volk heraus sich entwickeln und wachsen. Die Hitlerdiktatur wurde zwar zerbombt, aber zur Demokratie bedurfte es vieler Jahrzehnte.

 → Müssen wir anderen Völkern helfen, sich aus der islamistischen Zwangsjacke zu befreien?

 Das Völkerrecht verbietet, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Völker einzumischen. Menschenrechte verlangen dies, wenn sie missachtet werden. Die Frage ist, welche Art der Einmischung wäre gerechtfertigt? Das sollte von der Völkergemeinschaft, von den Vereinten Nationen (UN), geklärt und von Fall zu Fall entschieden werden.

Der Islamismus und der islamistisch begründete Terrorismus sind nicht zuletzt Folge einer Identitätskrise in den islamischen Ländern, hervorgerufen durch neokolonialistische Globalisierung und Korrumpierung arabischer Ölmagnaten durch westliche Staaten und Konzerne, in erster Linie US-amerikanischer und britischer. Viele Moslems sehen sich durch den Westen gedemütigt und von ihren eigenen Herrschern verraten. Sie sehen ihre Kultur durch unsere modernistische Zivilisation bedroht und geraten in den Bann fanatischer Mullahs, die ihnen das Paradies versprechen. Das macht sie gewaltbereit und gewalttätig bis zur Selbstaufopferung.

 Was können wir dagegen tun? Da gibt es viele Möglichkeiten, auf politischer Ebene wie auf privater. Auf jeden Fall sollten wir uns mit allen Moslems und Moslimen, die sich von den alten patriarchalen, autoritären Strukturen des Islams befreit haben oder befreien wollen und Reformen anstreben, wie z. B. der marokkanische König und seine Frau, solidarisieren und sie, soweit möglich, unterstützen. Auch ist der Friedensnobelpreis 2003 an die iranische Bürgerrechtlerin Schirin Ebadi ein gutes Signal. Und wir müssen selber vorleben, was wir von anderen erwarten: demokratisches Verhalten, eine hoch entwickelte Kultur freier Diskussion und fairer Entscheidungen, gewaltfreien Umgang mit Konflikten und Toleranz.

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* Frankfurter Rundschau vom 8. 11. 03
** Quelle: Greenpeace Magazin 2/03

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

EU-Beitritt der Türkei?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das wird derzeit in vielen Foren diskutiert, nicht nur in den virtuellen, sondern überall, wo wirtschaftliche und politische Planungen stattfinden und Entscheidungen getroffen werden. Auch ich kann die Frage nicht mit einem einfachen JA oder NEIN beantworten. Dazu ist sie viel zu komplex.

Kleinasien war schon Jahrtausende, bevor dort im 13./15. Jh. die Türkei als islamisch-osmanisches Herrschaftsgebiet entstanden ist, eine Brücke zwischen Europa einerseits und dem Vorderen Orient, Afrika und Asien auf der anderen Seite. Seine geografische Lage begünstige den Handelsaustausch zwischen den Kontinenten, die Begegnung grundverschiedener Kulturen, Fluchtbewegungen ganzer Völker, aber auch verheerende Feldzüge imperialer Armeen. Kleinasien war während der Kreuzzüge militärischer Brückenkopf mit logistischen Stützpunkten. Das ist es auch heute. Die Türkei ist NATO-Mitglied.

Ich schrieb dazu 1996 einen Leserbrief, der nicht veröffentlicht worden ist. Darin die Sätze: „Die NATO als Friedensengel und Garant der Menschenrechte: so wird sie uns in den Massenmedien präsentiert. Da müsste die Türkei längst aus diesem Militärbündnis ausgeschlossen sein. Oder gilt die NATO-Satzung nicht mehr? Hat sie je gegolten?

Nun will die Türkei - und soll nach dem Willen der USA und der meisten europäischen Staaten - in die EU aufgenommen und damit de facto zu einem europäischen Staat gemacht werden. Dagegen wehren sich am heftigsten Parteien mit christlichen Ängsten. Sie befürchten eine Islamisierung Europas, herbeigebombt durch terroristische Aktionen auf unserem Boden. Bestrebungen, auf diese Weise den verhassten Laizismus in der Türkei, der 1923 nach europäischem Muster von Kemal Atatürk eingeführt worden ist, zu beseitigen, hat es mehrmals gegeben. Die letzten Selbstmordattentate von Istanbul scheinen in diese Richtung zu weisen.

Die Türkei hat heute eine quasi moderne, nahezu europäische Verfassung, von der Todesstrafe, die derzeit auf Eis gelegt ist, abgesehen. Die alltägliche Realität sieht anders aus.

Waren noch vor wenigen Jahren ethnische Vertreibung in großem Ausmaß, Zerstörung von kurdischen Dörfern, Mord und Folter an der Tagesordnung, auch mit Hilfe deutscher Waffen, so sind Folter und Unterdrückung »in der Türkei immer noch weit verbreitet. (…)

Im Rahmen der Bemühungen um einen EU-Beitritt hat die Türkei Gesetzesänderungen im Bereich der Menschenrechte auf den Weg gebracht. Dies hat amnesty international (ai) begrüßt. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert jedoch, dass es in vielen Fällen an konsequenter Umsetzung mangelt. Zudem fordert sie weitere Gesetzesreformen.

Die türkische Regierung hat gesetzlich festgelegt, dass Personen ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme Zugang zu einem Anwalt haben sollen. "In der Praxis wird dies jedoch häufig verhindert. Und wenn Festgenommene ihre Anwälte sehen dürfen, wird ihnen nur ein Treffen von wenigen Minuten im Beisein von Polizeibeamten genehmigt", sagte Amke Dietert, Türkei-Expertin von ai. Bei Vernehmungen ist die Anwesenheit eines Anwalts bisher jedoch nicht erlaubt. "Dies widerspricht internationalen Standards", so Dietert. "Hier ist eine weitergehende gesetzliche Regelung dringend erforderlich."

Gerade während Verhören werden Menschen immer wieder Opfer von Folter und Misshandlungen. Regelmäßig dokumentierte Methoden sind schwere Schläge, sexueller Missbrauch, das Abspritzen mit kaltem Wasser aus Hochdruckstrahlern und Elektroschocks. Kommt es zur Anklage gegen die Verantwortlichen, werden die Verfahren häufig so lange verschleppt, bis die Taten verjährt sind. "Häufig genug werden jedoch erst gar keine Untersuchungen eingeleitet", sagte Amke Dietert.«

(ai-Presse-Team Deutschland, 1.November 2003)

Daraus könnte man folgern, dass die Türkei nicht einmal als Verhandlungspartnerin für einen EU-Beitritt in Frage kommen dürfe, obwohl sie bereits einem militärischen Pakt, der NATO, angehört und ihre Missachtung der Menschenrechte seit Jahrzehnten geduldet wird, sowohl von den USA als auch von ihren europäischen NATO-Partnern.

Ich denke, man sollte nicht diesem derzeitigen türkischen Staat und seinen Völkern das Tor zu Europa aufmachen, aber in zähen Verhandlungen ihn im eigenen Interesse dazu bringen, sich zu reformieren und alle Bedingungen zu erfüllen, die eine den Menschenrechten und dem Völkerrecht verpflichtete europäische Verfassung voraussetzt. Das wird ein jahrelanger Prozess sein, aber wie die jüngste Geschichte immer wieder gezeigt hat, können Nationen und Völker sich auf die Dauer dem Wandel nicht verschließen. Das Ende der Nationalstaatlichkeit ist längst eingeläutet. Die meisten haben es nur noch nicht bemerkt. Europa wird eine multikulturelle Gesellschaft sein, mehr noch als heute. Der Mensch der Zukunft ist Kosmopolit. Goethe war einer der ersten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Not-wendige Veränderungen, global

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir alle können dazu beitragen, dass ein Kahlschlag im Sozialgefüge Deutschlands verhindert, ebenso aber auch, dass das Leiden anderer Völker, soweit es durch unsere Lebensweise verursacht ist, beendet wird. Wir können helfen, die soziale Schieflage auf unserem Planeten zu beseitigen und langfristig das ökologische Gleichgewicht wieder herzustellen.

Was lokal geschieht, hat - in seiner Summe - globale Folgen, negative, positive. Und was global geschieht, hat lokale Folgen. Solche Zusammenhänge sind oft genug beschrieben worden, auch hier im Forum. Ebenso das, was wir als Einzelne tun und was wir (unter)lassen müssen.

Die Zustände auf dem Planeten ERDE sind hinreichend erforscht, beschrieben und beklagt worden. Viele Menschen arbeiten bereits daran, dies zu ändern. Menschen in aller Welt. Man schimpft sie „Idealisten, Weltverbesserer und hält sich selber für Realisten und Pragmatiker, weil man sich entweder mit den Zuständen abgefunden und sich darin mehr oder minder komfortabel eingerichtet oder weil man keine Lust oder keine Kraft mehr hat, den Stein des Sisyphus den Berg hinauf zu tragen.

Was denn endlich muss geschehen, damit diese unsere Welt eine andere, bessere wird? (Kein Paradies auf Erden, wie es Kurt Hiller dem christlichen entgegensetzen wollte. Eines seiner vielen Bücher hatte dann auch den Titel „Aufbruch zum Paradies, München...1952.) Aber wer hätte vor 230 Jahren außer den Vordenkern Kant, Wieland, Bürger, Görres, Forster und ein paar anderen es für möglich gehalten, dass der Feudalismus in Deutschland einmal abgeschafft sein werde und ein demokratischer Staatenbund entstehen würde? Und wer hat vor hundert Jahren von einer Europäischen Union überhaupt zu träumen gewagt?

Mein laienhafter Verstand sagt mir, dass

→ der Steuerflucht und Spekulationsgewinnen ein Riegel vorgeschoben werden muss: Demokratische Kontrolle des internationalen Geldhandels. Tobinsteuer.

→ ein Weltwährungsfond dafür sorgen muss, dass Ungleichgewichte zwischen Nationen ausgeglichen werden: Schuldenerlass für alle Länder, die durch neokolonialistische Ausbeutung und Korruption in die Armut getrieben worden sind. Förderung von Basisprojekten in den am meisten ausgepowerten Ländern.

→ alle Nationen in den internationalen Organisationen ein paritätisches Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht erhalten müssen: Bildung eines UN-Parlaments und einer UN-Regierung.

→ eine neue, reformierte UN für weltweite Abrüstung und Kontrolle sorgen muss: Abschaffung aller strategischen Waffensysteme, der ABC-Waffen, der Großwaffen (Flugzeugträger, U-Boote, Zerstörer, Kampfflugzeuge, Raketenrampen, schwere Panzer, Kanonen, Geschütze u. dgl.) Unterbindung des internationalen Waffenhandels.

→ eine Blauhelmpolizei geschaffen werden muss. *

→ ein UN-Kartellamt damit beginnen muss, die großen Konzerne und Finanzkartelle zu entflechten.

→ ein Ökologieministerium der UN Gesetze zum Schutz der Erde und ihrer Atmosphäre ausarbeiten und deren strikte Einhaltung kontrollieren muss. Kein Freikauf von „Umweltauflagen!

[Die industrielle Landwirtschaft muss in eine kleinteilige und ökologische umgewandelt werden. Abschaffung der Massentierhaltung und der riesigen Monokulturen in Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau, Plantagen. Weltweites Verbot des Einsatzes von Pestiziden und schädlicher Wachstumsförderer, biogenetischer Tier- und Pflanzenzucht, sowie der Abholzung der großen Regen- und Urwaldgebiete; deren Aufforstung. Die Meere dürfen nicht weiter leer gefischt werden! Verbot von Fisch- und Shrimpsfarmen, der Tiefentreibnetze und giftiger Schiffs-Antikorrosionsanstriche. Vermeidung von Großprojekten wie Stauung und Umleitung von Flüssen. Sparsamer Umgang mit Ressourcen. Förderung und Ausbau der regenerativen (natürlichen) Energiegewinnung. Was soll ein Atomkraftwerk in der Wüste?! ...anderes als waffenfähiges Uran produzieren?! Abkehr von der Atomwirtschaft! Anmahnung, Förderung und notfalls Verordnung von Techniken, die den Ausstoß von Klimakillern verhindern. (Straßen-, Luft- Schiffsverkehr, Industrie. Kerosinsteuer) Langlebige, recycelbare Produkte. Abkehr von der Petrochemie, Einführung „sanfter Chemie, „sanfter Technik, damit die Natur sich regenerieren kann.]

Dies ist technologische und technische Ökologie. Um der kaputten Natur die nötigen Heilungsprozesse möglich zu machen, bedarf es aber auch eines anderen Bewusstseins, einer anderen Lebensphilosophie, einer anderen Lebensart, einer anderen Kultur. Einer Kultur, in welcher der Gegensatz zur Natur aufgehoben ist.

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* Die Blauhelme müssten den Status einer Weltpolizei erhalten und eine ständige Institution werden, bestens ausgebildet in den Techniken Gewalt vermeidender, möglichst gewaltfreier Konfliktlösung. Multinationale Einheiten, keine isolierten Länderkontingente, sondern durchmischt. Dass so etwas nach anfänglich großen Problemen funktionieren kann, habe ich selber erlebt, von 1949 bis 54: in der Légion Ètrangère. Es sollten Freiwillige sein, und es muss durch demokratische Kontrollorgane gewährleistet sein, dass sich dieser (Polizei-) Apparat nicht verselbstständigt.

Ziel der UNO war, ist und bleibt, die sozialen und ökologischen, die menschen- und völkerrechtlichen Voraussetzungen für einen Weltfrieden zu schaffen. Dazu, meine ich, gehört die Abrüstung aller Staaten, Schritt für Schritt. Damit sollten wir Europäer beginnen!

Eine neue Weltordnung muss her, aber nicht so, wie die Regierenden der Weltmächte und Wirtschaftsbosse es sich vorstellen. Eine Utopie? Ja. Aber wir können wenigstens versuchen, uns solchen Leitvorstellungen anzunähern. Eine neue Weltfriedensordnung hängt jedoch nicht allein von äußeren Bedingungen ab, sondern ebenso von inneren Bedingungen, von unserer Friedensfähigkeit und damit von der „emotionalen Intelligenz (Goleman) jedes einzelnen Menschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Bürger für Abnabelung Europas von USA

 

Unter diesem Titel berichtete die Frankfurter Rundschau am 18. März über eine internationale Umfrage.

 

Bürger für Abnabelung Europas von den USA?

„Abnabelung? Die Metapher ist falsch, die Frage ist wichtig. Denn nicht die Vereinigten Staaten von Amerika haben Europa geboren und demzufolge hängen wir nicht (noch) an deren Nabelschnur, sondern es waren Europäer, die ab 1492 mit und nach Kolumbus Amerika überfallen, erobert, christianisiert und versklavt, die ganze Völker ausgerottet, Kulturen zerstört und in den folgenden Jahrhunderten die Natur des Kontinents rücksichtslos ihren Bedürfnissen angepasst haben.

Goethe, der Vielbelesene und Vielbewanderte, hat davon nicht gewusst, als er 1823 dieses Gedicht schrieb:

DEN VEREINIGTEN STAATEN

Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, das alte,
Hast keine verfallenen Schlösser
Und keine Basalte.
Dich stört nicht im Innern,
Zu lebendiger Zeit,
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit…

Er hat nichts davon gewusst, weil man es verstand, diese dunklen Seiten früher Kolonialgeschichte lange Zeit peinlichst zu ignorieren, obwohl bereits Anfang des 16. Jh. sogar einer der Eroberer kritisch darüber berichtet hat: Bartolomé de Las Casas, Dominikaner und Bischof. Ebenso rücksichtslos haben Europäer später den Norden Amerikas besiedelt.

Europäer waren es auch, die ihre Kolonien in Asien ausgeplündert und sich den afrikanischen Kontinent unterworfen haben. Noch im 19. Jh. wurden von der Westküste Afrikas, der „Sklavenküste, Ureinwohner, „Neger, nach Amerika verfrachtet. Ende des 19. Jhs. waren 85% der Erde unter europäischer Kolonialherrschaft oder in halbkolonialer Abhängigkeit, eine Globalisierung, die fast alle wirtschaftlichen und politischen, sozialen und kulturellen Strukturen indigener Völker zerstört und die Natur „nachhaltig beschädigt hat. Sie ist ausgegangen vom christlichen Abendland.

Auf diesem Hintergrund muss auch der Islamismus gesehen werden.

Es waren Europäer, die sich von ihrem Mutterland abgenabelt hatten, um sich auf fremdem Boden anzusiedeln und sich rücksichtslos durchzusetzen.

Heute verstehen sich die USA zwar als Nabel der Welt und auch Europa hat sich wirtschaftlich und politisch von dieser Supermacht abhängig machen lassen, aber die Vereinigten Staaten sind nicht die Mutter aller Dinge. „Misstrauen gegenüber Washington heißt jedoch nicht, dass wir „die Amerikaner, die Völker Nordamerikas ablehnen, zurückweisen, befeinden, sondern dass wir sie nicht anders ansehen als uns selber. Auch die Entferntesten sind unsere Nächsten!

 

 

 

 

© Dietrich Stahlbaum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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