KULTUREN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Internationales Kulturfest am 1. Mai 2002 in Recklinghausen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DAS KOPFTUCH

 

 

 

 

 

Dieses Kopftuch-Urteil, wenn es dabei bleiben sollte, mag auf den ersten, flüchtigen Blick dem Gebot religiöser Neutralität in öffentlichen Institutionen gerecht werden, bei genauem Hinsehen jedoch bestätigt es kulturelle Vorurteile, die in unserer Gesellschaft noch längst nicht überwunden sind. Es entspricht der Mentalität derer, die eine Multikultur in Deutschland nicht dulden wollen und AusländerInnen nur, wenn sie sich vollkommen assimilieren, also anpassen, was nichts anderes bedeutet, als sich aufzugeben.

Diese Mentalität ist bei uns weiter verbreitet, als man glauben möchte. Sie ist auch im so genannten Bildungsbürgertum vorhanden. Es ist die Arroganz derer, die von der Überlegenheit ihrer Kultur gegenüber allen anderen Kulturen so überzeugt sind, dass sie die „fremden Wurzeln ihrer eigenen Kultur, falls sie sie überhaupt kennen, ignorieren.

Im „Kleinbürgertum ist es Xenophobie, Fremdenangst, Furcht vor allem Fremden, vor allem Unbekannten, Unvertrauten. Bei beiden – „Bildungs-„ wie „Kleinbürgertum – ist es eine Frage der eigenen Identität.

Ich habe vor 25 Jahren u. a. im Stadtteilkulturreferat mitgearbeitet. Das Referat ist damals als erstes dieser Art in ganz Deutschland in Recklinghausen gegründet worden und hat bald eine Vorreiterrolle gespielt. Wir haben uns dabei besonders um die Bergarbeiterstadtteile, in denen sich türkische Familien angesiedelt hatten, gekümmert, denn das Zusammenleben von deutschen und türkischen BewohnerInnen war sehr problematisch. Deshalb haben wir soziokulturelle Interaktionen angeregt, organisiert und finanziert.

Es wurde ein Erfolg. Denn es hat sich bald gezeigt, dass man fähig und bereit ist, einander zu tolerieren, wenn man einander kennt, mit den Gewohnheiten, den Sitten und Gebräuchen der Anderen vertraut ist.

Man muss den Menschen nur Zeit lassen, sich in anderen Kulturen zurechtzufinden.

Kulturen haben oft einander bekämpft und dann befruchtet. Wir aber wollen eine Globalisierung ohne Kultur-, ohne Glaubenskriege.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

SUSIS REDE

Zwei Kommentare

 

 

 

 

 

I.

Susan Sontags Dankesrede, die Sie am 12. Oktober 2003 bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche gehalten hat, war alles andere als eine Sonntagsrede. Denn mit dieser Rede hat sich die Preisträgerin als die bessere Botschafterin ihres Landes erwiesen, verglichen mit dem US-Botschafter Daniel Coats. Dieser glänzte gegen alle Gepflogenheiten durch Abwesenheit, ebenso wie unser Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Außenminister und, bis auf einen mutigen CDU-Abgeordneten und die Oberbürgermeisterin, die ja ihre Amtspflicht erfüllen musste, alle (?) anderen RepräsentantInnen der deutschen Politik. Der einzige von den Abgeordneten war, wenn die Fernsehkameras keine/n weitere/n ausgelassen haben, Wolfgang Schäuble. Der wagte sich in die Höhle der Löwin. Ich finde, die Servilität gegenüber dem großen Bruderstaat und den Herren am Potomac ist beschämend. Sind wir durch unsere Exportorientierte Wirtschaft von den US-Konzernen schon so abhängig, dass Regierung und Opposition sich gar nicht mehr anders verhalten können?

Dabei hat die Löwin gar nicht gebrüllt. Klug und sanft hat sie geredet und sie hat nicht, wie in Deutschland und in den USA erwartet, erhofft und befürchtet, aus dem „Alten Europa volle Breitseiten über den Atlantik geschossen. Im Gegenteil, sie hat die Brücken gezeigt, die seit Anbeginn Europa mit ihrem Land verbindet. Es war keine Lobhudelei, sondern eine kritische Zusammenschau, nicht ohne deutliche Worte gegen die Kriegspolitik der US-Administration und die „imperialistischen Tendenzen der US-Außenpolitik, einer Politik, die darauf aus ist, die Welt noch mehr zu polarisieren, als sie schon ist, und sich überall Feinde zu machen. Dagegen setzte sie den nicht vordergründig politischen Auftrag der Literatur, der Verständigung und Versöhnung das Wort zu reden und, wo immer möglich, Frieden zu stiften.

Ich hätte mir noch gewünscht, sie hätte uns Europäern zu mehr politischem Selbstbewusstsein gegenüber den Vereinigten Staaten geraten und vor der völligen Amerikanisierung Europas durch die Fast-Food-und Coca-Cola-Kultur gewarnt.

 

II.

Da arbeitet eine Autorin drei Monate lang an einem Redetext, hält diese Rede an einem schönen Sonntagmorgen, und schon fallen Anglisten, Journalisten, Germanisten, Kulturredakteure, Politologen und Soziologen in Scharen darüber her, picken dies und das heraus, garnieren es mit Eigenem und servieren es am selben Abend im Internet und zum Frühstück am nächsten Morgen. Wer zuerst publiziert, hat den Wettlauf der Schnelldenker und Schnell-Läufer gewonnen.

Das erinnert mich an den Indianer, der in einer amerikanischen Metropole lebte und nach langer Zeit mit einem Freund, einem „Bleichgesicht, in einem alten, klapprigen Auto in seine Heimat fuhr, zu seinem Reservat: zu seinem Stamm. Sie waren schon eine Weile unterwegs, als der Indianer plötzlich seinen Freund anzuhalten bat.

„Du fährst mir zu schnell! sagte der Indianer. „Meine Seele kommt nicht nach. Lass uns Pause machen. Siehst du den Berg? Da will ich hinauf. Warte bitte! Und er ging und blieb bis zum Sonnenuntergang. Als er zum Auto zurückgekehrt war, fand er den Freund schlafend im Fond des Wagens.

Wenn wir von Kultur reden, zumal von amerikanischer, sollten wir dies mit bedenken und es nicht allzu eilig haben.

Ich habe in der ARD zwar die ganze Rede gehört, und nach diesem Gehörten den Kommentar geschrieben, dennoch ist das nicht mehr als ein subjektiver Gesamteindruck. Andererseits ist es kaum möglich, einem Text wie dem, den ich hier verlinkt habe, gerecht zu werden, wenn man nicht weiß, ob da nicht Wesentliches herausgeschnitten worden ist. Und noch viel schwieriger ist es, mit den Schnitzeln aus Berichten und Kommentaren anderer sich etwas zusammenzupuzzeln.

Der letzte Satz meines Kommentars ist nicht von allen so verstanden worden, wie er sollte. Deshalb schiebe ich ein paar klärende Sätze nach:

Eine „Amerikanisierung durch die Fast-Food-und-Coca-Cola-Kultur – vielleicht hätte ich schreiben sollen „-Unkultur oder -Massenkultur - findet weltweit im Zuge der von US-Konzernen betriebenen Globalisierung statt und hat mit dem eigentlichen Begriff KULTUR nur noch insofern zu tun, als er ihn pervertiert. Fast Food und Coca Cola sind Charakteristika dieser kommerzialisierten, allein von Profitinteressen bestimmten Warenkultur, in der auch Kultur zur Ware wird. Ihre Dominanz gefährdet die Vielfalt der (ursprünglichen) Kulturen in allen Kontinenten. Das ist etwas anderes als gegenseitige Befruchtung.

In meinem Kommentar fehlt ein sehr wichtiger Satz, auf den man mich jetzt aufmerksam machte. Es ist ein Schlüsselsatz aus der Rede, den die Süddeutsche Zeitung nicht abgedruckt hat:

"Wie sonderbar, dass in einem Augenblick, da Europa und Amerika einander kulturell so ähnlich sind wie noch nie, der Zwiespalt zwischen ihnen tiefer ist als je zuvor."

Ja, politisch. Dieser Graben wird umso tiefer, je rücksichtloser die USA  ihre Interessen durchzusetzen trachten, das Völkerrecht und Menschenrechte missachten und ökologische Vereinbarungen der Völkergemeinschaft hintertreiben.

Ich nenne das Kulturlosigkeit. Darüber kann auch das gemeinsame christliche Morgengebet im Weißen Haus und im Pentagon nicht hinwegtäuschen. Es fehlt dem mächtigsten Staat der Erde die politische Kultur! Gerade deshalb ist es so wichtig, dem vermeintlichen amerikanischen Pragmatismus, der dabei ist, sich selber ad absurdum zu führen, einen humanen und ökologischen Universalismus entgegenzusetzen.

Oktober 2003

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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