»Ein Lesebuch« nennt Dietrich Stahlbaum dieses Werk, um damit die Vielfalt der Ereignisse, der Themen und Stile seiner Prosatexte, die er aus den letzten 60
Jahren zusammengetragen hat, zu charakterisieren.
Kleine und kleinste Geschichten, sozusagen Minimalgeschichten, wie die vom »Kleinen Mann«. Diese ziehen sich als roter Faden durch das ganze Buch. Und da ist
die Geschichte eines Jungen, der in einer Fantasiewelt lebt und aus der Wohnungseiner Mutter ein Schlachtfeld macht. Da sind Realsatiren, „denn das ist ja, wie der Autor versichert, „alles passiert.
Reportagen wie die von den Binnenschiffern auf dem Rhein-Herne-Kanal und die über Leben und Widerstand französischer Bauern auf dem Larzac. Ein Bericht über die dramatische Flucht einer afghanischen
Familie nach Deutschland. Kriegsende 45, Gefangenschaft und Flucht….
Der Bogen ist über Jahrzehnte erlebter Geschichte gespannt und reicht mitten in unsere Gegenwart hinein. Stahlbaum erzählt sozial-kritisch, teilweise ernst,
teilweise kurios, meistens mit hintergründigem Humor. Nach seinem zeitdokumentarischen Vietnam-Roman präsentiert er uns hier unsere Welt im Fokus des „kleinen Mannes.
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Die Welt als ein Ganzes
Die Welt wird nicht mehr als ein Ganzes wahrgenommen, sondern als ein zerbrochener Spiegel, dessen
Scherben uns in unendlicher Zahl fortwährend und immer schneller vor die Füße geworfen werden. Deshalb sollten wir öfters die Zeit anhalten, um zu meditieren, nachzudenken oder einfach die schönen
Seiten des Lebens zu sehen, zum Beispiel jetzt die ersten Frühlingsblumen, oder um Gedichte zu lesen,
Musik zu hören, Bilder zu betrachten und nachzuempfinden, was andere Menschen bewegt. Es gibt viele Wege zu der verlorenen Ganzheitlichkeit.
Des großen schwarzen Vogels Schwingen. Von deutscher Revolution. Ein Roman
Eine Rezension
Wolfgang Beutin schreibt mit seinem fünften Roman ein wenig bekanntes Kapitel deutscher Geschichte: die
dramatischen Ereignisse der Jahre 1918/19, als aus einem verlorenen Krieg heimkehrende Soldaten, Arbeiter
und Intellektuelle, revoltierten und eine sozialistische Räterepublik errichten wollten, in Berlin, in München,
in Bremen, im Ruhrgebiet. Er beschreibt – dies ist das Besondere an dem Roman – aus der Sicht der Revolutionäre und mit der Feder einer Frau den am Ende vergeblichen Kampf für eine, heute nennen wir es:
basisdemokratische Gesellschaft.
Im Mittelpunkt Johannes Knief, unabhängiger Sozialdemokrat wie seine junge Geliebte und Chronistin
Charlotte Kornfeld. Er, der von Krieg und Krankheit gezeichnete Pazifist, Journalist und Motor der Bremer
Arbeiterbewegung, ein „Linksradikaler, der das besitzbürgerliche Regime und das Berliner „Bonzentum regierender Sozialdemokraten (Ebert, Noske und Genossen) bekämpft und den in der Pickelhaubenzeit
geschundenen, oftmals zusammengeschlagenen und weg gesperrten Proletariern zu ihrem Recht verhelfen
will. Sie, Kurierin und Geschäftsführerin einer Arbeiterzeitung, Johanns Lebens- und Kampfgefährtin, die mit
ihm Verfolgung und Gefängnis, Krankenhaus und Asyl bei Heinrich Vogeler in Worpswede teilt, bis Johann
Knief nach mehreren Operationen stirbt, am 6. April 1919, einen Tag bevor in München eine Räterepublik entsteht.
Die Bremer Räterepublik, nach trickreichen Schachzügen der Arbeiterführer am 10. Januar 19 ausgerufen,
scheiterte keine vier Wochen danach an der Übermacht der „Weißgardisten, Freikorps völkisch-deutsch-nationaler Couleur, die ein sozialdemokratischer Reichswehrminister in Bremen einmarschieren ließ.
Es ist die tragische Geschichte eines Matrosen- und Arbeiteraufstandes, die Geschichte seiner
Hauptakteure, allen voran Johannes Knief, ein Idealist wie die vielen anderen „Linksintellektuellen, die an
der bitteren Realität scheitern mussten. Der Autor macht aus seinen Sympathien für sie keinen Hehl. Und es ist eine Liebesgeschichte, die ebenso tragisch endet.
Beutin gelingt es, uns am Geschehen hautnah teilnehmen zu lassen und der offiziellen Historiografie, wie sie
in den Schulbüchern angeboten wird, andere Aspekte hinzuzufügen. Wir können davon ausgehen, dass der vielseitige Wissenschaftler von der Geschichte seiner Heimatstadt Bremen viel Staub abklopfen musste,
damit darunter Verborgenes sichtbar wird.
Sein Stil ist zupackend und analytisch distanziert zugleich. Beutin liebt das Detail; er sieht und beschreibt
alles, was das Leben ausmacht, und wie es man es von einem Germanisten erwarten sollte: Er entfaltet den ganzen Reichtum unserer Sprache
^^^^^^^^^^^^^^ Wolfgang Beutin:Knief oder Des großen schwarzen Vogels Schwingen
Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 1/2004, 249 Seiten
Der Platzhirsch
Der Platzhirsch, ganz auf sein Revier beschränkt, duldet kein Tier, das anders als er selber denkt.
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Und was der Platzhirsch angerichtet hat
bei nensch 22 Kommentare (Die Analytiker)
und in der Leselupe 52 Kommentare (Die Kreativen), ein Poetenwettstreit, der sich immer dramatischer zugespitzt hat:
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