PSYCHOLOGIE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir leben in einer sehr dynamischen Zeit, in der sich nahezu alles immer schneller verändert – bis auf den Menschen, dessen Emotionalität die Entwicklungen, die sein Finder- und Erfindergeist bewirkt hat, nicht verkraften kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

Sitz der Seele im Gehirn?

Wenn die Seele durch den Körper geistert: Psychosomatik

Psychoanalyse und Buddhismus


Aus dem Roman „Der Ritt…:

I. Dialog zwischen dem Rôshi und Miros über die Psychoanalyse

II. Die Geschichte vom Karpfen
 

Wut

Aphorismen

„scheissegal ???  Antwort auf einen Forumsbeitrag

Sigmund Freud

Das Unbewusste

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sitz der Seele im Gehirn?

 

 

 

 

 

 

 

Nun haben Neuropsychologen den Sitz der Seele im Gehirn entdeckt.* Wissenschafter haben immer wieder versucht, die „Seele im Körper zu lokalisieren. Mal fanden sie sie in der rechten Hirnhälfte, mal im „Bauchgehirn, und jetzt beobachten sie, wie diese „Seele im vorderen Teil des Gehirns anders reagiert als im hinteren Teil desselben. Das mag schon so sein, ist aber nur jeweils ein Aspekt.

Der Begriff „Seele steht hier für psychische Reaktionen, für Emotionen aller Art. Denn von einer „Seele, wie sie von manchen Religionen gerettet werden soll und wie sie von Dichtern aller Zeiten besungen worden ist, hat sich die Wissenschaft inzwischen verabschiedet. Für sie ist Seele allenfalls ein Arbeitsbegriff, um Unanschauliches anschaulich zu machen, damit es leichter zu verstehen ist. Und für die Neurophysiologen und –biologen reagiert keine Seele mehr, sondern z. B. das „cingulare Vorderhirn mal ärgerlich, mal hocherfreut, je nachdem.

Dies liegt daran, dass die Wissenschaftler in der Traditionslinie Bacon (1561 1626) →Descartes (1596 1650) →Newton (1643 1727)→… (Das sind die meisten, heute noch) die Natur auseinander nehmen, Teile heraustrennen und Lebendiges isolieren, um festzustellen, was passiert, wenn sie so oder so damit umgehen wie mit einer Maschine, einem Uhrwerk, einem mechanischen Gegenstand. Hinzu kommt, dass die Wissenschaften selber sich aufgesplittert haben, in lauter Einzelwissenschaften, sich spezialisiert haben auf Teilbereiche und sich verselbständigt haben und nun die vielen von ihnen erforschten Aspekte der ganzen Wirklichkeit lauter Mosaiksteinchen sind, die nicht zusammenpassen.

Immerhin gibt es Ansätze, wenigsten miteinander verwandte Wissenschaften zusammenzuführen, z. B. Biologie und Physik, Neurologie und Biologie, Biologie und Chemie und dergleichen. Ebenso die scheinbar einander völlig fremden Disziplinen Psychologie und Somatologie = Psychosomatik. Aber stets ist bei allen die Rede von „Mechanismen, also von mechanischen Abläufen, als funktioniere die Natur und (bei der Psychoanalyse) die „Seele, das „Seelenleben, oder beides zusammen tatsächlich wie bei einer Uhr.

Es wird wohl eine gute Weile dauern, bis die neue Physik (Planck, Einstein, Bohr, Pauli, Heisenberg…) mit ihrer ganzheitlichen, komplementären Sicht- und Denkweise bei allen Wissenschaften den Part übernimmt, den die alte, mechanistische und reduktionistische und daher sehr beschränkte Physik noch innehat. Die neuen Physiker waren keine „Fachidioten; sie waren Wissenschaftler und Philosophen und machten sich über die Folgen ihrer Forschungsarbeit Gedanken und über deren Anwendung berechtigte Sorgen (Kernphysik, Atomspaltung, Atomenergiegewinnung, Atombombe).

In diesem komplementären, ganzheitlichen Sinne verstehe ich denn auch die „Psychologie als integralen Bestandteil der Philosophie. „Psychologie in Anführungszeichen, weil mir dieser Begriff nicht mehr zeitgemäß erscheint. Denn – und das lehrt uns schon der frühe Buddhismus – Natur/Körper/Seele/Empfindungen/Geist lassen sich nicht voneinander trennen, ebenso wie (beobachtendes) Subjekt und (beobachtetes) Objekt untrennbar sind. Deshalb sind wissenschaftliche wie alle Erkenntnisse relativ.

Wir müssen also davon ausgehen, dass solche emotionalen und zugleich somatischen Prozesse, wie Naomi I. Eisenberger und seine Kollegen sie durch Messungen von Gehirnströmen nachgewiesen haben, zwar für den Moment lokalisiert werden können, sie jedoch überall im Körper geschehen, wie ebenfalls nachgewiesen worden ist. Wer Yoga und/oder Zazen intensiv übt, weiß es aus eigener Erfahrung. „Die Seele geistert durch den Körper.

Noch etwas - viel Wichtigeres - haben die Forscher um Naomi I. Eisenberger wieder entdeckt: Worte, geschriebene und gesprochene, können tiefer verletzen als allgemein angenommen wird; sie bewirken emotionale und somatische Reaktionen und können sogar schwere körperliche Schäden verursachen. Andererseits können Worte des Mitgefühls, wenn sie echt sind, verständnisvolle Worte, aufmunternde, liebevolle Worte heilsamer sein als manche Pille.

 

 

 

 

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* Siehe unter http://f27.parsimony.net/forum66372/messages/762.htm
undSigrun Hopfensperger über  Descartes' Irrtum von Antonio R. Damasio:
http://f27.parsimony.net/forum66372/messages/828.htm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn die Seele durch den Körper geistert: Psychosomatik

 

 

 

 

Psychosomatik - abgeleitet von Psyche : Seele, seelisch-geistiges Leben (WAHRIG, Fremdwörter-Lexikon, dtv 2000) , auch (Lebens)Hauch, Atem, Seelenleben, Gemütsverfassung (KLUGE, EWB, 2002) und Soma (lat.-griech.): Leib, Körper - ist die Wissenschaft von den Beziehungen zwischen "Seele" und Körper.

Wenn einer einen besonders guten Witz erzählt, gerät unser Zwerchfell in Bewegung und der Unterbauch beginnt zu wackeln. Herz und Lunge werden durchblutet, Leber, Magen und Milz stimuliert und die Därme massiert. Wohlbefinden stellt sich ein und so manche Beschwernis verschwindet für eine Weile. Wenn ein Arzt nach langer, aufwändiger Untersuchung zu dir sagen würde: „Haben Sie nichts bemerkt? Sie haben lauter Metastasen! Es sieht schlimm mit Ihnen aus!, dann würde, falls du das glaubst, dein Zwerchfell sich zusammenziehen und derart verkrampfen, dass dir der Atem stockt…

So ist es auch beim Placebo-Effekt. Eigentlich sind es Binsenwahrheiten, Zusammenhänge die (fast) jede/r kennt. Es sind psychosomatische Erkenntnisse, die Mitte des 19. Jh. von der materialistischen Medizin aus der Wissenschaft verdrängt worden sind. Allein der gute, alte Hausarzt, der, ohne nach seinem Verdienst zu fragen, sich für seine Patienten noch Zeit nahm, hat dieses Wissen bis in die 30-er Jahre des 20. Jh. bewahrt und angewendet.

Die Psychosomatik ist also bei uns eine junge Wissenschaft. Zuerst in den USA, dann seit den 60er Jahren auch in Deutschland gelehrt und gezielt praktiziert, wurde sie erst 1970 als vollgültiges Lehrfach anerkannt. Zwanzig Jahre zuvor hatte Alexander Mitscherlich die erste psychosomatische Uni-Klinik in Deutschland mitbegründet.

Im Schatten der Apparate- und Pharma-Medizin hat die Psychosomatik heute kaum eine Chance, gefördert und weiter entwickelt zu werden. Dabei haben bis zu 80% aller organischen Krankheiten psychosoziale Ursachen! Auch ein großer Teil von Unfällen könnte vermieden werden, zum Beispiel durch permanentes Achtsamkeitstraining, wie es seit dem 6. Jh. im Zen-Buddhismus üblich ist. Es sind materielle Interessen, die der Psychosomatik im Wege sind.

Andererseits wusste man schon vor mehr als 2500 Jahren aus einer Seelenlehre Geld zu schlagen. Es war die vedische, hinduistische Lehre von einer unvergänglichen, einer Ewigen Seele und deren Wanderung, die beim Tod den Leib eines Menschen verlässt und „einen anderen Körper erlangt. „Wie ein Mann abgetragene Kleider ablegt und andere, neue anzieht, so legt auch die Seele die abgetragenen Körper ab und geht in andere, neue ein, heißt es in einem Upanischaden-Text. Die Wiedergeborenen sahen sich dann, entsprechend ihren Sünden oder Verdiensten, zum Beispiel als Götter im Himmel oder als Ratten in der Unterwelt wieder.

Die indischen Brahmanenpriester machten sich diesen Wiedergeburtsglauben zunutze. Sie zelebrierten - vergleichbar mit der heutigen Seelenmesse - einen Totenkult und kassierten dafür viel Geld. Gotama Buddha hat ihre „Narrenlehre und alle esoterischen Praktiken mit deutlichen Worten kritisiert, ebenso den Reichtum der Brahmanen und das Kastenwesen, ein Feudalsystem:

 „Auch ich, Mönche, gewahre kein Gut, dessen Besitz unvergänglich, beständig, ewig, unveränderlich wäre und immerdar derselbe bliebe. Huldigt ihr wohl, Mönche, dem Glauben an eine (ewige) Seele, durch welchen diejenigen, die dem Glauben an eine (ewige) Seele huldigen, nicht in Kummer, Jammer, Leid, Verzweiflung und Mühsal geraten sollen? Seht ihr, Mönche, einen (solchen) Glauben an eine (ewige) Seele (…)?
„Nein, das gibt es nicht, Herr!
„Gut, Mönche! Auch ich, Mönche, glaube nicht an eine (ewige) Seele (…) Auch ich hänge nicht an einer (solchen) Lehrmeinung (…)
 

(Majjhimanikaya 22)

Die so oft missverstandene Wiedergeburtslehre des Buddha bezieht sich nicht auf einzelne Personen, sondern auf den „psychosomatischen und auf den ganz natürlichen Lebens-Prozess des Entstehens und Vergehens. Das ist Samsara, der Kreislauf des Daseins. Er endet und beginnt im Komposthaufen. Überall da, wo Tod und Leben ineinander übergehen.

 

 

 

 

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Anmerkung:

Auch hier zeigt sich, wie sehr die Medizin selber einer tief greifenden Reform bedarf, aus therapeutischen und aus Gründen der Kostenersparnis.

Woran liegt es, dass Psychosomatiker/innen und Ganzheitsmediziner/innen (was nicht unbedingt dasselbe ist) es so schwer haben, sich Geltung zu verschaffen? An den mächtigen Interessenverbänden? An der Industrielobby? An den Patienten? An mangelnder Aufklärung?

S. a. Howard und Daralyn Brody:Der Placebo-Effekt. Die Selbstheilungskräfte unseres Körpers. dtv, München 2002, und unter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Psychoanalyse und Buddhismus

Eine Antwort

 

 

 

 

Sigrun Hopfensperger schreibt in einem Diskussionsbeitrag:

„Als Technik" jedoch, seine Gegenwart psychologisch zu optimieren, dafür halte ich die Psychoanalyse nicht sonderlich geeignet. Sie zeigt nur auf, was war, macht deutlich, was in unseren Tiefen verborgen liegt, wo unsere Ursachen sind. Sie gibt uns aber keinen Impuls, genau jetzt in diesem Moment unsere Füße in eine für uns geeignete Richtung zu setzen.

Und:

„In der Vergangenheit liegen allenfalls die Wurzeln, die Ursachen verborgen. Die Harke aber, um diese Wurzeln ein für alle Male zu ent-wurzeln, finde ich nicht dort, sondern nur im Hier und Jetzt!

Ich bin nach langem Studium der Psychoanalyse in den 60-er/70-er Jahren (Sigmund und Anna Freud, Reich u. a.) und später (Fromm, Mitscherlich, H.-E-. Richter u. a.) zu derselben Einschätzung gekommen und als Buddhist noch radikaler geworden, wie gleich hiernach zu lesen sein wird. Gewiss, die Psa. hat sich weiterentwickelt und ist von den frühen Dogmen Freuds und seinen Überinterpretationen befreit worden; und bei H.-E. Richter, den ich sehr schätze, gibt es den Blick darüber hinaus, einen ganzheitlichen Ansatz. Auch die neuen Psychologien (Stanislav Grof, R. D. Laing, Ken Wilber, Charlene Spretnak, Rupert Sheldrake u. a.) waren für mich nur Durchgangsphasen zum Zen-Buddhismus, zum Leben im HIER UND JETZT.

Vor etlichen Jahren habe ich mich mit einem langjährigen Freund über Freud und dessen Orthodoxie gestritten und versucht, ihm sein Vorhaben, Literatur zu psychoanalysieren, auszureden. Bald darauf erschien von ihm ein Aufsatz nach dem anderen und es folgte eine ganze Reihe von Büchern, in denen er Autoren und Autorinnen und ihre Werke auseinander nahm, unter anderem Mystikerinnen des Mittelalters.

Er besitzt in seinem Garten einen großen Teich mit zwei uralten Karpfen. Darauf bezieht sich die nachfolgende Geschichte aus meinem Roman, in dem Buddhisten die Psa. erörtern. Das hat dem inzwischen emeritierten Germanisten nicht gefallen: Nicht schätze ich: S. 238 f... Vielleicht sollte man auf den Vergleich Psa./Buddha verzichten, weil er doch zur Verhärtung führen kann..." Oha! Nun der 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

I. Dialog zwischen dem Rôshi* und Miros über die Psychoanalyse

 

 

 

 

(….) Was erforscht, was untersucht die Psychoanalyse?"
"Das Unbewußte."
"Teilweise: Träume, Phantasien, Assoziationen. Die Symptome uneingestandener, verkannter, verdrängter Konflikte."
"Makyô?"**
"Ja, die Psychoanalyse untersucht Phänomene, die beim Zazen** nicht weiter beachtet und bewertet werden sollen. Die Signale aus dem Unbewußten. Hier lagert das Vergessene. Hier schlummern unsere Triebe und Instinkte.
Diese Triebe führen bisweilen ein chaotisches Eigenleben.
Ein solches Triebleben ist, nach Sigmund Freud, gestört, wenn Triebregungen, und das seien vor allem sexuelle, die man sich nicht eingestehen kann, weil sie als verpönt, als verboten gelten, ins Unbewußte verdrängt worden sind. Man verbirgt sie vor sich selber, und Ängste wachen darüber, daß sie nicht ans Tageslicht gelangen und nicht oder nicht mehr wahrgenommen werden. Diese Störungen, Störungen im psychischen Apparat, nannte Freud Neurosen. Er meinte, man könne Neurosen beseitigen, wenn man den verborgenen Mechanismus erkennt, das Verdrängte ausgräbt, es aus dem Unbewußten heraufholt und von den Ängsten befreit. Es käme darauf an, die Triebkräfte, besonders die fehlgeleiteten sexuellen Energien, zu sublimieren, sie umzuwandeln in intellektuelle, in geistige, in kulturelle Kreativität.
Ein Mechaniker..."
"Ein Mechaniker?"
"Ja, ein Mechaniker zerlegt in seiner Werkstatt eine Maschine, die nicht mehr funktioniert, in Einzelteile, tauscht die defekten Elemente aus und baut sie wieder zusammen. Ein Chemiker experimentiert in seinem Labor mit unbekannten, aggressiven Stoffen. Er will sie neutralisieren und nutzbar machen. Er zerlegt sie, bestimmt ihre Bestandteile, setzt sie anders zusammen und beobachtet die Reaktionen. Der Psychoanalytiker nimmt das Unbewußte oder genauer: dessen Inhalt auseinander. Er will den seelischen Apparat reparieren. Er trennt aus dem Unbewußten vermeintliche Symptome heraus, bestimmt, interpretiert sie und ordnet sie logisch in gedachte, in theoretische Zusammenhänge ein."
"Und der Anatom seziert eine Leiche."
"Ja, du hast es erfaßt."
"Der Psychoanalytiker denkt in materialistischen, in naturwissenschaftlichen Kategorien. Er vereinfacht und dogmatisiert. Tappt er dabei nicht in die Fallen seiner eigenen Verallgemeinerungen?
Ich weiß nicht, ob die Psychoanalyse nachhaltig helfen kann, ob sie wirklich heilen kann. Ich meine, sie greift nicht tief genug. Sie ist eine rationale Methode.
Was im Unbewußten geschieht, ist irrational, besser sagen wir: a-rational. Läßt sich das A-rationale logisch erschließen? Ist es nicht viel zu chaotisch und zu komplex? Jede rationale Methode grenzt ein. Das Unbewußte, ist es nicht wie das Universum grenzenlos? Oder ist es nur ein verlorenes Gedächtnis?
Ich kann diese Fragen nicht beantworten. Uns Buddhisten stellen sie sich nicht. Für uns hat das keine Bedeutung. Es gibt tiefere Erfahrungen, Miros!"

(Aus: Der Ritt auf dem Ochsen oder Auch Moskitos töten wir nicht, Aachen 2000, S, 237 ff.)

 

 

 

 

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*Rôshi, jap.: buddh. Zen-Meister/lehrer
** makyô, jap.: Gesichte, Gerüche, Töne, Halluzinationen, die beim zazen (jap.: meditatives Sitzen im Zen) auftauchenkönnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II. Die Geschichte vom Karpfen

 

 

 

 

»»» Mit ruhigen Worten, aber etwas lauter als bisher, sprach der Rôshi weiter:

„Als ich in Frankreich studiert habe, waren mein buddhistischer Lehrer Thây Ngoc Loan und ich einmal Gäste im Hause der Eltern eines Kommilitonen. Wir Jungen tanzten und die Alten diskutierten mit Thây. Am Abend lud der Hausherr uns beide zu einem Gang durch seinen Garten ein. Wir setzten uns auf eine Bank an einem kleinen Teich und genossen die relative Stille. Es war natürlich jedes Mal, wenn die Verandatür geöffnet wurde, Musik zu hören, leise zwar, aber sie drang ins Ohr. Doch der Hausherr hatte uns nicht zum Meditieren an den Teich geführt. Er begann ein Gespräch und sagte, er sei Philologe und habe unter anderem auch einige buddhistische Texte analysiert. Ergebnis: Der Buddhismus sei voller Widersinn und entspräche daher in keiner Weise seinem rationalen Weltverständnis.

Thây Ngoc Loan hatte bei seinem langen Aufenthalt in Frankreich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß man hier seine Ansichten eher mit Hauen und Stechen verteidigt, als sie zu ändern. Nun sagte er:

Ihr Sohn studiert Physik. Nach meiner Kenntnis gehört Physik zu den Wissenschaften, bei denen es auf äußerste Exaktheit ankommt. Ein Denkfehler, eine falsche Berechnung, kann eine Katastrophe zur Folge haben, besonders bei hochsensibler Technik. Aber auch in der Natur verläuft nicht alles nach den Gesetzen der klassischen Logik. So gibt es in der Atomphysik Phänomene, die dem Grundsatz dieser Logik, dem Satz von der Identität, widersprechen.

Der Hausherr rezitierte: Alles ist sich selbst gleich.

Richtig. Sie wissen sicherlich, daß Licht, also Strahlung, Wellen und zugleich Teilchen, Partikel sind, je nachdem, unter welchem Aspekt Sie es betrachten. Strahlung und Materie, Materie und Energie, Wellen und Teilchen – je weiter man die Natur, die Wirklichkeit erforscht, desto mehr Paradoxa wird man entdecken. Paradoxa lassen sich nicht analysieren. Und haben Sie von dem Kreter gehört, der gesagt hat: Alle Kreter lügen?

Darauf er: Es gibt natürlich Ausnahmen. Da haben Sie recht.

Thây Ngoc Loan: Der Buddhismus weist über das Denkbare hinaus – wie das Leben selbst. Und was geschieht, wenn man darangeht, es zu analysieren? Erlauben Sie mir, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, die Geschichte vom Karpfen.

Gern. Bitte!

Sie hat zwei Teile. Der erste:

Monsieur, Sie sitzen am Ufer eines Teiches und schauen auf das Wasser. Blütenstaub auf einem Spiegel. Am Ufer, Ihnen gegenüber, stehen alte Weiden, wie hier. Lange Äste hängen tief über dem Wasser. Ein Karpfen kommt herangeschwommen, in ruhigen, bedachtsamen Zügen, ein großes Tier. Der Fisch sieht Sie an. Sie erwidern den Blick. Er öffnet sein Maul. Er wartet darauf, daß Sie ihn füttern. Auf der Wasseroberfläche sind Muster entstanden und überlagern die Spiegelung der Weiden. Lichtreflexe. Sie holen aus der Tasche Ihrer alten Jacke eine Handvoll Krümel heraus. Die Krümel sind vom Abendbrot übrig geblieben. Sie streuen die Krümel ins Wasser. Der Fisch schnappt zu. Er verschlingt die Krümel, ehe sie in der schwarzen Tiefe versinken. Jetzt zieht er Schleifen durchs Wasser, aber Ihre Hand ist leer. Er umkreist die Stelle, an der die Krümel ins Wasser gefallen sind. Neue Muster entstehen und zerfließen. Der Fisch ist weggetaucht. Die Oberfläche des Teiches ist blank. Auch die Lichtreflexe sind verschwunden. Der Fisch taucht wieder aus dem Wasser hervor. Er schaut Sie an…

Der zweite Teil:

Sie stehen am Ufer Ihres Teiches und warten auf den Karpfen. Sie haben eine dicke, lange Bambusstange mitgebracht. Am Ende der Stange ist ein Netz, befestigt an einem Reifen aus Draht. Ein Kescher. Den Kescher stecken Sie ins Wasser. Der Karpfen kommt herangeschwommen und öffnet sein Maul. Er schnappt nach dem Netz. Er schnappt ins Leere. Sie drehen den Kescher und ziehen ihn vorsichtig dem Fisch über den Kopf. Der Fisch verfängt sich im Netz. Könnten Sie hören, Sie würden ihn schreien hören. Aber Sie hören nichts. Sie beugen sich nach vorn, um Schwung zu holen, und ziehen den Kescher mit dem schweren Fisch aus dem Wasser. Sie warten nicht, bis es abgetropft ist; mit einem harten Schlag auf den Kopf betäuben Sie den Fisch. Zu Hause legen Sie ihn auf ein Brett. Er zappelt nicht mehr. Sie ziehen Gummihandschuhe an. Sie streifen das Netz von dem leblosen, glitschigen Körper herunter und öffnen ihm mit einem scharfen, sägenartigen Messer den Bauch. Blut und Eingeweide quellen hervor. Die Eingeweide legen Sie ordentlich an den oberen Rand des Brettes. Auch die Schwimmblase. Vorsichtig trennen Sie das Fleisch vom Skelett, nehmen die Augen heraus und schneiden die Flossen ab. Jetzt zerlegen Sie das Ganze in lauter kleine Teile. Sie untersuchen Stück für Stück. Auch den Darminhalt. Um besser sehen zu können, halten Sie eins nach dem andern ins Licht. Unter einer Lupe zerlegen Sie die Stücke in noch kleinere Stücke, dann die Stücke in Stückchen und die Stückchen… Nun brauchen Sie ein Mikroskop. Sie nehmen das Brett mit allem, was da drauf ist, und gehen in Ihr Labor. Dort setzen Sie die Untersuchung der winzigen toten Teile eines ehemals Ganzen und Lebendigen fort…

Wissen wir nun, was ein Karpfen ist? Er schaut uns nicht mehr an!  « « «

(Aus: Der Ritt auf dem Ochsen oder Auch Moskitos töten wir nicht, Aachen 2000, S, 296 ff.)

 

 

 

 

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Auf unserm Tisch liegt ein neues Buch: Thich Nhat Nanh: Aus Angst wird MutGrundlagen buddhistischer Psychologie.Berlin 2003. Da ich mit T. N. Hanhs Philosophie und Dichtung vertraut bin, kann ich auch dieses Werk sehr empfehlen.

 

 

 

 

S. a. unter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wut

 

 

 

 

Wut ist eine schlechte Beraterin und eine Souffleuse, die den falschen Text eingibt.

Bei einem Retreat in Oberlethe/Oldenburg/O im Juni 2001 unterwies uns Thich Nhat Hanh* in Lehre und Praxis buddhistischer Achtsamkeit. Am letzten der sechs Achtsamkeits-Tage wurde eine buddhistische Hochzeit zelebriert. Der Bräutigam, ein junger – wenn ich mich recht erinnere - Psychologie-Doktorand, kniete vor seiner Braut und sprach inmitten der rd. 500 Anwesenden ein Gelübde. Am Schluss sagte er, wenn es mal zwischen ihnen beiden Streit geben sollte, würden sie „sich sehr achtsam fetzen.**)

Großes Gelächter und Juhuuuu! bei den zumeist jungen Leuten. Thich Nhat Hanh, dem es ins Englische simultan übersetzt wurde, schien ungerührt. Er schwieg.

In sechs Tagen, bei solch einem "Schnellkurs", lässt sich auch kaum lernen, seine Emotionen im Zaum zu halten, um ihnen nicht mehr ausgeliefert zu sein, und gelassener zu werden (Bitte nicht mit "gleichgültig" verwechseln!).

 

 

 

 

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* Eines seiner Bücher hat den Titel „Umarme deine Wut
** Eigentlich - so sehe ich es heute - war es ein Kôan, ein unlösbarer Widerspruch, ein Paradoxon, wie es im Zen-Buddhismus angewendet wird, um tiefere Einsicht zu erlangen - intuitiv.^

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit selektiver und daher eingeschränkter Wahrnehmung resp. einem Tunnelblick haben wir es zu tun, wenn jemand z. B. eine Erzählung, einen Roman, einen Essay, einen Aufsatz, einen Artikel oder Kommentar nicht ganz erfasst, sich an einem einzigen Wort oder Satz festbeißt, das Wort, den Satz aus seinem Kontext herausreißt und durch seineeigenen Hirnwindungen zerrt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aphorismen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frei ist, wer sich den eigenen Trieben und Bedürfnissen nicht ausliefert.

*

Er rennt lauter offene Türen ein und boxt gegen seinen eigenen Schatten, der ihm überall entgegentritt.

*

Viele Menschen sind ihr Leben lang auf der Flucht - vor sich selber.

*

Gehe unter die Menschen und höre ihnen zu, solange, bis du dich in ihnen selber erkennst

 *

Er litt an Langeweile. Eine Krankheit, die zum Tode führen kann.

 *

Sie zieht lauter psychische Wracks an Land.

*

 Wenn Kopf und Bauch nicht harmonieren,
geht einem manches an die Nieren.
Dann ist die Galle voller Gift,
das, wenn verspritzt, die andern trifft. 

*

Wenn du deinen Ärger runterschluckst,
bleibt er dir im Magen liegen.
Schimpfst du, dass die Fetzen fliegen,
geht`s dir besser – nicht, wenn du dich duckst. 

Noch viel besser geht es ohne Wut,
ohne Meckern, ohne Schimpfen
über Löcher in den Strümpfen
oder alles, was der Nachbar tut.

 *    *   *

  

 „scheissegal ???

 Antwort auf einen Forumsbeitrag

Hallo Björn!

Du schreibst: "Die USA und die ganze Welt brechen sowieso zusammen, also Scheiß auf Globalisierung hin oder her."

Scheiß, das ist ein hartes Wort für eine weiche Masse. Aber Spaß beiseite. Ich kann dich verstehen. Ich weiß, wie das ist, wenn man auf alles und alle sauer ist, weil alles anders gekommen ist, als man es sich vorgestellt hat. Weil alles, was man erwartet und erhofft hat, nicht eingetroffen ist. Weil alles, was man sich vorgenommen und angefangen hat, schief gegangen ist. Und dann verliert man auch noch seinen Job oder muss Angst haben, ihn zu verlieren. Oder man fühlt sich krank und ist auch krank. Und man kommt mit den anderen Menschen nicht mehr klar. Die Eltern, die Freundin, sie verstehen das nicht, wenden sich ab. Man ist allein. Und vor sich selbst sieht man eine Wand, durch die der Kopf nicht mehr hindurchgeht. Und das soll die Zukunft sein? Nein, da geht es nicht weiter, da ist keine Zukunft mehr, da ist die Welt zu Ende, da geht alles kaputt…

Nein, Björn, es geht weiter, wenn man es will! Für mich ist auch einmal die Welt untergegangen. Kaputt gegangen und dann zu Grunde gegangen. 1945. Damals war ich achtzehn. Hamburg, Lübeck, Frankfurt, Dresden, Berlin… die großen Städte lagen in Trümmern, und wenn man durch die notdürftig frei geräumten Straßen ging, spürte man noch den Brandgeruch.

Ich hatte die Bomben fallen gesehen, bei Duisburg, wenige Kilometer vor uns. Wir saßen auf Munitionskisten, auf offenen Güterwagen. Sie hatten uns von Frankreich nach Deutschland zurückgebracht: „an die Heimatfront. Die alten Soldaten, die längst wussten, dass das „Großdeutsche Reich sehr klein geworden war und bald nur noch im Radio, im „Volksempfänger, existieren würde, sie waren cleverer als wir. Sie hatten sich, wenn sie es konnten, längst „verpisst. Aber wir jungen, wir glaubten immer noch an den Endsieg, an die Wunderwaffe, die von der Stimme aus dem „Volksempfänger verkündet wurde. Es war die Stimme von Goebbels oder von Göring. Jedenfalls eine der Stimmen, die uns, die „Hitlerjugend, auf den „Führer eingeschworen hatten. Man hatte uns schon als Pimpfe zu Soldaten gemacht und, als wir 17, 18 waren, "die Knarre" in die Hand gedrückt. Den K(arabiner) 98 oder das „Sturmgewehr. Vorher hatten wir mit Luft- und Kleinkalibergewehren auf Scheiben und „Pappkameraden schießen gelernt. Auf die wir nachher schießen sollten, die waren aber nicht aus Pappe, sondern aus Fleisch und Blut. Menschen wie wir. Nur ihre Helme sahen anders aus und ihre Uniformen. Und wenn es Engländer waren, Amerikaner oder Kanadier, dann konnten wir sie sogar verstehen…

Björn, als das vorbei war, strebten wir hungrig und halb zerlumpt nach Hause, übernachteten im Freien oder für ein paar Pfennige im Bahnhofsbunker. Wir lagen neben anderen, ebenso hungrigen und zerlumpten Menschen auf dem Betonboden. Und wir lagen auf unserem Brotbeutel und den Stiefeln, damit sie uns nicht von den Füßen weggestohlen werden konnten. Wir fuhren im Bremserhäuschen der „Reichsbahn oder auf klapprigen Lkws oder gingen zu Fuß mit den Entlassungspapieren der Besatzungsmacht in der Tasche oder ohne Identität durch das zerstörte Land irgendwo hin.

Und manch einer kam wirklich nach Hause, ich nicht. Ich hatte keins. Selbst wenn es nicht im Osten gelegen hätte und nicht von der Sowjetarmee niedergewalzt worden wäre, für mich gab es kein Zuhause mehr. Denn kaputt war für mich nicht allein die materielle Welt, zerbrochen war auch eine Welt in meinem Innersten. Eine Welt, die sich nach und nach als falsch erwiesen hat, als verlogen und als erträumt. Eine ideologische Welt.

Die meisten meiner Generation haben das damals so empfunden, wie Wolfgang Borchert es beschrieben hat. Es herausgeschrieen hat. „Draußen vor der Tür heißt das Stück. Es ist heute noch aktuell!

Dies war nicht die einzige Ent-täuschung in meinem Leben, aber die gründlichste. Alle Illusionen waren noch nicht zerplatzt. So habe ich, nach fünf Jahren Nordafrika und Vietnam wieder in Europa, vieles begonnen, beruflich und politisch, gewiss, manches auch erreicht. Und wenn ich an Grenzen gestoßen bin, gescheitert war, z. B. mit meinen Ideen, habe ich etwas anderes gemacht, einen neuen Job, ein neues Projekt. Ich bin auch immer wieder mal erwerbslos gewesen, jedoch nicht arbeitslos. Ich habe von „der Stütze gelebt, geschrieben, fotografiert und politisch gearbeitet – ohne „Aufwandsentschädigung, ohne Diäten. Gejobbt habe ich, wo es möglich war, u. a. in einer Baumschule, in einer Glasfabrik, einer Lautsprecherfabrik, in Büros, Redaktionen, Buchhandlungen, Verlagen und in einer Bibliothek. Dabei hat sich mein Gesichtskreis immer mehr erweitert und ich habe hinzugelernt.

Warum erzähle ich dir das alles, Björn, dir und möglichst vielen jungen Leuten, die glauben, am Ende angekommen zu sein? Ich erzähle es dir und anderen, weil auch ich es für möglich halte, dass alles kaputt GEMACHT WIRD, fast alles. Dass das chaotische Weltwirtschaftssystem, dieses so mächtige, jedoch krisenanfällige Imperium, sich selbst zerstören wird und noch größeres Chaos entsteht. Dass noch schlimmere Kriege folgen werden, noch mehr Hunger, noch mehr Elend, noch mehr zerstörte Natur. Weil nicht Weisheit regiert, sondern Unwissenheit, maßlose Gier, Habgier, Machtgier, Hass und Vergeltungssucht. Die Dinge sind eben so, wie sie sind, weil der Mensch so ist, wie er ist. Aber sollen wir deshalb den Kopf in den Sand stecken und uns in den Hintern treten lassen? Oder selber anfangen, kaputt zu machen, was uns kaputt zu machen droht?

Ich erzähle dir das, weil ich sehe: Überall auf der Welt gibt es Menschen, die längst dabei sind, die Zustände zu ändern, in kleinen, manchmal sehr kleinen Entwicklungsschritten, und sich durch Spott, hämische Bemerkungen, durch handfeste Widerstände und durch Rückschläge nicht entmutigen lassen.

Wir können die Zukunft erahnen, kennen können wir sie nicht. Leben aber, das können wir nur im gegenwärtigen Augenblick. Sollten wir den nicht nutzen, um mit dem Kostbarsten, das es gibt, achtsam umzugehen: mit dem eigenen Leben und dem aller anderen (Lebe-)Wesen?!

Macht es gut!

Dietrich St.

 

 

 

 

 

 

 

 

Sigmund Freud

 

 

 

 

war, seine eigenen Kriterien auf ihn selber angewendet, ein psychisch und in den letzten zwanzig Lebensjahren auch somatisch schwer angeschla­gener Mensch. Kann ein solcher Mensch andere Menschen heilen oder ihnen bei der (Selbst-)Heilung helfen?

   Neigt ein von (selbst zerstörerischem) Krebs Heimgesuchter nicht selber zu destruk­tivem Verhalten, oder war seine Krankheit nicht Ausdruck der eigenen Destruktivität? Ich würde mich keinem Arzt mit einer Krankheit, an der er selber leidet, anvertrauen.

Freud konnte sich nicht heilen, weder von seiner oralen Fixierung, noch von seiner Nikotinsucht, noch von deren Folgen. Er litt und starb an Zungenkrebs. Was war es, das ihm die Zunge, den Mund verbat?

 

 

 

 

Das Unbewusste

 

 

Das Unbewusste (Ubw) wirkt ebenso in unserem alltäglichen Leben. Die Macht des Unbewussten : wieder entdeckt von Friedrich Nietzsche, von Freud zum Angelpunkt einer Psychologie gemacht. Das ES, wie er es auch nannte. Daher setzte er als therapeutisches Ziel: „Aus ES werde ICH. Bewusstmachen des Ubw. Wer sich seiner Triebregungen bewusst ist, meinte er, könne ihrer Herr werden und von seinen Neurosen geheilt werden. Ich will das nicht ganz von der Hand weisen. Aber man sollte seiner Fantasie Zügel anlegen, wenn man anfängt, Unbewusstes, Träume und andere Zustände, zu interpretieren, zu deuten.

Mir hat das einmal geholfen, in den 60er Jahren, als ich nach häufigen Stenokardieanfällen (Herzkrämpfen) mit Infarktverdacht in eine Klinik eingeliefert wurde und damals nach Freuds Schriften „Krankheit als Konflikt von Alexander Mitscherlich gelesen hatte: Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass die Ursachen dieser Erkrankung psychosomatische waren und dass weder Spritzen noch Pillen, die mir cocktailmäßig verabreicht worden waren, helfen würden. Es waren Ängste, die ich als solche nicht wahrgenommen, nicht erkannt hatte. Die Redaktion eines Wirtschaftsverlages, in der ich gearbeitet habe, sollte - so wurde seit Wochen hinter vorgehaltener Hand geredet - aus Essen nach Darmstadt verlegt werden. Dadurch war mein Job, die Existenz meiner Familie, gefährdet. Ich war damals in den 40ern, hatte zwei kleine Kinder, ein drittes war unterwegs. Sobald mir die Ursachen dieser – durchaus realen - Ängste bewusst geworden waren, verschwanden sämtliche Beschwerden, die Herzfrequenz war wieder normal und die Ärzte, die mich wochenlang in einem Krankenhaus behandelt hatten, waren verblüfft. Sie wollten mich nicht gehen lassen. Das tat ich dann aber gleich am nächsten Tag auf eigene Verantwortung. Eine der Schwestern sagte zum Abschied: „Na, wir werden uns ja bald wieder sehen. Denkste!

Ich habe zuhause den Pillenschrank leergeräumt und vertraue seitdem mehr auf die eigenen Selbstheilungskräfte als auf die Schulmedizin. Diesen Befreiungsakt verdanke ich nur indirekt der Psychoanalyse; sie hat mir geholfen, psychosomatische Zusammenhänge und die Bedeutung des Ubw zu erkennen.

Endogene * Störungen sind eine andere Sache. Sie sind komplexer. Deshalb spricht man ja auch von psychischen Komplexen. Inzwischen weiß man längst (wieder), dass das Ubw nicht nur für Neurosen und Psychosen und nicht nur für - so schätzt man – 80% aller organischen Erkrankungen „verantwortlich ist, sondern dass wichtige Erkenntnisprozesse im Unbewussten ablaufen und dass das Ubw Quelle künstlerischer Kreativität sein kann und meistens auch ist.

Auf diese positive Bedeutung des Ubw weist der dänische Wissenschaftsjournalist Tor Noerretranders hin. In seinem Buch Spüre die Welt - Die Wissenschaft des Bewusstseins geht er, die neusten Hypothesen und Erkenntnisse der Psychologie, der Hirnforschung und der Physik einbeziehend, den Ursprüngen des Bewusstseins nach. * *

» (…) Tor Noerretranders macht sich Gedanken über das Bewußtsein. Ich denke, also bin ich? "Nein", meint er, "nicht ich denke, sondern es denkt in mir, und dem, was wir 'ich' nennen, wird nur das Resultat bewußt, ein winziger Bruchteil dessen, was 'es' wahrgenommen und verarbeitet hat." Aber was ist dieses "es", das Selbst, wie es der Autor nennt? In seinem Buch beschreibt er eine Reihe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die zeigen, daß das Bewußtsein nicht das Zentrum unserer Entscheidungen und Handlungen ist, und daß wir zum größten Teil "nichtbewußt" denken und agieren. "Wir haben", so sagt er, "die besten 'Auftritte', wenn wir unserem Selbst freien Lauf lassen, wenn wir gerade nicht versuchen, es durch das Ich zu kontrollieren."«

Dies wiederum verweist uns auf einen werten Körperteil, den wir, wenn überhaupt, zumeist mit unangenehmen Empfindungen wahrnehmen, ohne zu ahnen, dass darin etwas geschieht, was uns zu höchstem Bewusstsein befähigt. Ich meine hara, den Bauch, und das darin befindliche „Zweite Gehirn, in Asien seit Jahrtausenden bekannt und beachtet, im Westen erst kürzlich (wieder) entdeckt.

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* endogen: von innen kommend, im Innern entstehend, im Innern befindlich (lt. WAHRIG, FWB)
** Weitere Lit.:
Antonio R. Damasio: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins, 2002, (LIST TB)
David Servan-Schreiber:
Die neue Medizin der Emotionen. Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente, 2004, (KUNSTMANN)

Die analytische Psychologie habe ich hinter mir gelassen (Freud, Reich und Schüler/innen); sie grenzt ein und neigt zur Überinterpretation. Die »neue« Psychologie habe ich ebenfalls hinter mir gelassen (Grof, Laing, Ken Wilber u. a.), denn sie öffnet, konsequent angewandt, Grenzen und führt hin zum Zen.

 

 

© Dietrich Stahlbaum

 

 

 

 

 

 

 

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