GEWALT/-FREIHEIT

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

Individuelle Gewalt↔kollektive Gewalt

Müssen wir anderen Völkern helfen,
sich aus der islamistischen Zwangsjacke zu befreien?

Lust am Leid?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Individuelle Gewalt↔kollektive Gewalt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seit der Steinzeit hat der Mensch zwar seine Technik weiter entwickelt, nicht jedoch sich selber. Liegt es vielleicht daran, dass wir unsere intellektuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten überbewerten und unsere im Endeffekt destruktiven Eigenschaften unterschätzen, weil unsere emotionale Intelligenz  (Daniel Coleman) völlig unterentwickelt ist? Bei Albert Einstein und Bertrand Russell waren intellektuelle und emotionale Intelligenz komplementäre Eigenschaften wie Yin und Yang. Deshalb scheuten sie sich auch nicht, dem Fortschrittsglauben entgegenzutreten und vor technokratischer, am Ende selbstzerstörerischer Hybris zu warnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ereignisse wie der Erfurter Amoklauf erschüttern, weil sich dabei plötzlich menschliche Abgründe auftun, vor denen wir erschrecken. Wenn wir da genauer hineinschauen, erblicken wir uns selbst. Und um uns nicht in Frage stellen zu müssen, behelfen wir uns mit Erklärungen, die meistens zu kurz greifen, und glauben, dieser  individuellen Gewalt eine noch stärkere kollektive Gewalt entgegen setzen zu müssen: schärfere Gesetze,  mehr Verbote, mehr Überwachungstechnik, mehr Polizeipräsenz usf.

Fragen wir nach den tieferen Ursachen von solchen Gewalttaten, dann sollten  wir zuerst einmal uns selber befragen. Wenden wir nicht alle, nahezu alle, Gewalt an, um unsere Ziele zu erreichen: Macht, Profit, Karriere, Besitz, Suchtbefriedigung und Spaß? :das, was uns massenmediale Werbung als erstrebenswert suggeriert, weil es der Wirtschaft nützt.  

Sind es Videos und Computerspiele, ist es die virtuelle Gewalt, die junge Männer in Allmachtsfantasien treibt und sie schließlich zu Mördern macht? Oder ist es nicht eher die ganz reale, tägliche, mehr oder minder subtile Gewalt in der Familie, am Arbeitsplatz, in unserer Gesellschaft?  

Sind wir nicht alle, nahezu alle von uns bereit, Gewalt mit Gewalt zu beantworten, wenn wir die Mittel dazu haben, oder sie stellvertretend für uns anwenden zu lassen?

Wir haben die kollektiven Gewaltstrukturen (Johan Galtung nennt sie „strukturelle Gewalt) derart verinnerlicht, dass wir es begrüßen, wenn „endlich einmal hart durchgegriffen wird,  „Vater Staat seine Muskeln spielen lässt und „für Ordnung sorgt: sich als souverän erweist.

Souveränität bedeutet höchste herrschaftliche Gewalt (eines Staates) (lt. Wahrig, Fremdwörter-Lexikon) und manifestiert sich durch die Fähigkeit auch zu militärischer Gewalt, also Kriege zu führen. Daran werden Staatsgäste erinnert, wenn sie mit militärischen Ehren empfan­gen werden und über den blutroten Teppich schreiten. Das ist keine Gehmeditation. Der gezogene Säbel verheißt Schutz für den Gast und ist zugleich eine Warnung.

Das Ansehen von Regierenden steigt bei ihren Untertanen, sobald sie Gewalt anwen­den, und ganz besonders, wenn sie einen vermeintlich „gerechten Krieg beginnen (in jüngster Zeit: Thatcher, Busch sen., Clinton, Busch jun.). Selbstverständlicherweise steigen dann auch bestimmte Aktienkurse.

Wir lassen es zu, dass deutsche Soldaten auf den Balkan,  in den Vorderen und in den Mittleren Orient geschickt werden und damit den Hegemonialbestrebungen und wirtschaftlichen Interessen einer Supermacht dienen. Diese Supermacht geht mit schlechtestem Beispiel voran, indem sie ihre technische Überlegenheit nutzt, um sich überall in der Welt, wo ihr Neokolonialismus auf Widerstand stößt, gewaltsam durchzusetzen, ohne Rücksicht auf Menschenrechte und Ökologie. Auch die Todesstrafe in den USA und in anderen Ländern ist Teil kollektiver Gewalt, die individuelle Gewalt nicht verhindern kann, und sie verstößt gegen das Lebensrecht aller Menschen.

Wir, die reichen Industrienationen, beuten rücksichtslos die Natur aus, vor allem in den anderen Kontinenten, und wir halten uns Arbeitssklaven. Die Kehrseite unseres Wohlstandes, des materiellen, ist das Elend in der so genannten Dritten Welt. Eine der Hauptursachen: unsere Habgier.

Unsere Bedürfnisse sind enorm. Wir wollen mehr, als für alle vorhanden ist. Und so lassen wir täglich vierundzwanzigtausend von uns verhungern. Achtzehntausend davon sind Kinder. Es sind Menschen, wie wir Menschen sind. Wir gehen achtlos über sie hinweg. Das „schlechte Gewissen,  welches sich da und dort schüchtern meldet, wird durch Almosen an Bedürftige besänftigt und durch Weniges von dem, was von unseren Überflüssen abfällt.

Das Abholzen der Urwälder, das Leerfischen der Meere, das Zerstören fruchtbaren Mutterbodens, landwirtschaftliche Monokultur und Massentierhaltung, Ressourcenverschwendung und die giftigen „Lateralschäden industrieller Produktion, des Straßen- und des Luftverkehrs: dies alles ist Gewalt, die wir der Natur antun, unserer Mitwelt und damit uns selbst.

Rund um den Globus Exzesse brutaler Gewalt.

Es ist ein ungeheures Gewaltpotential auch im kollektiven Unbewussten der Menschheit, die immer mehr dazu neigt, existentielle Probleme gewaltsam lösen zu wollen. Dessen materieller Ausdruck sind die ABC-Waffenarsenale.

Das ist die Welt, in der unsere Kinder und Kindeskinder aufwachsen, erwachsen werden und dabei glücklich sein sollen. Demütigungen, emotionale Kälte, Achtlosigkeit, Beziehungsarmut, Desorientierung, Perspektivlosigkeit, Verlassenheit: ein ganzes Syndrom, entstanden durch  psychische Verletzungen, die nicht heilen können und sich nur noch unter inneren Zwängen kompensieren lassen. Sie leiden darunter und wissen nicht warum, besonders in der Phase, in der sie schon als Erwachsene gelten –  unter Erwachsenen, die an sich selber leiden und es nicht wahrhaben wollen.

Gewiss, das lässt sich verdrängen, z.B. durch Konsum und Spaß. Aber Verdrängtes bleibt unter der Oberfläche des Bewusstseins, und es kommt eines Tages, wie in Erfurt, zur Eruption.

Früher wurde jede Generation mindestens einmal in den Krieg geschickt, wo die  jungen Männer „abgehärtet werden sollten. Da konnten sie sich für die in der Kindheit erlittene Gewalt auf „legale Weise rächen, aufgestaute Aggressionen abreagieren und bekamen dafür sogar Orden. Diese jungen Männer wurden dann zumeist brave Untertanen, die den Enkeln von ihren Heldentaten erzählen konnten. Heute lassen sich die nationalistischen und militaristischen Ideologien nicht mehr vermitteln. Der deutsche Idealismus hat abgewirtschaftet, und der alte Wertekatalog ist Makulatur. Der neue Wertekatalog ist der Warenhauskatalog. Aber er enthält nicht das, was besonders junge Menschen brauchen: andere Vorbilder, andere Lebensmuster, andere Beispiele menschlichen Verhaltens, - Verständnis, Güte und selbstlose Liebe.

Ich glaube, wir müssen unsere Sicht- und unsere Verhaltensweisen radikal ändern. Wir müssen unser Leben ändern. Der Dualismus unserer westlichen Kultur hilft da nicht weiter.

Claude AnShin Thomas,  US-Vietnam-Veteran, seit 1995 engagierter Zen-Mönch und Mitglied der Buddhist Peace Fellowship ,sagte bei einem Vortrag über die Grundlagen des Friedens:

„Krieg ist ein kollektiver Ausdruck individuellen Leidens.

Und individuelle Gewalt?  Denken wir einmal sehr tief darüber nach!

© Dietrich Stahlbaum, 5. 5. 2002

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Müssen wir anderen Völkern helfen,
sich aus der islamistischen Zwangsjacke zu befreien?

 

 

 

 

 

 

Das Völkerrecht verbietet, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Völker einzumischen. Menschenrechte verlangen dies, wenn sie missachtet werden. Die Frage ist, welche Art der Einmischung wäre gerechtfertigt? Das sollte von der Völkergemeinschaft, von den Vereinten Nationen (UN), geklärt und von Fall zu Fall entschieden werden.

Der Islamismus und der islamistisch begründete Terrorismus sind nicht zuletzt Folge einer Identitätskrise in den islamischen Ländern, hervorgerufen durch neokolonialistische Globalisierung und Korrumpierung arabischer Ölmagnaten durch westliche Staaten und Konzerne, in erster Linie US-amerikanischer und britischer. Viele Moslems sehen sich durch den Westen gedemütigt und von ihren eigenen Herrschern verraten. Sie sehen ihre Kultur durch unsere modernistische Zivilisation bedroht und geraten in den Bann fanatischer Mullahs, die ihnen das Paradies versprechen. Das macht sie gewaltbereit und gewalttätig bis zur Selbstaufopferung.

Was können wir dagegen tun? Da gibt es viele Möglichkeiten, auf politischer Ebene wie auf privater. Auf jeden Fall sollten wir uns mit allen Moslems und Moslimen, die sich von den alten patriarchalen, autoritären Strukturen des Islams befreit haben oder befreien wollen und Reformen anstreben, wie z. B. der marokkanische König und seine Frau, solidarisieren und sie, soweit möglich, unterstützen. Auch ist der Friedensnobelpreis 2003 an die iranische Bürgerrechtlerin Schirin Ebadi ein gutes Signal. Und wir müssen selber vorleben, was wir von anderen erwarten: demokratisches Verhalten, eine hoch entwickelte Kultur freier Diskussion und fairer Entscheidungen, gewaltfreien Umgang mit Konflikten und Toleranz. «

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lust am Leid?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erschüttert von der RP-Online-Meldung: Makabre Voyeure: Das Video von der Enthauptung des Amerikaners Nick Berg im Irak hat einen Ansturm im Internet ausgelöst, fragte eine junge Frau * :

„Gibt es eine Lust am Leid?
Was treibt Menschen dazu, sich Aufzeichnungen über eine Tatsache bewusst anzusehen, die als Schreckensmeldung sowieso durch die Weltpresse kursierte?

Da müssten wir, die anders empfinden, diese Menschen selber fragen und darauf achten, was sich hinter ihren Worten verbirgt. Denn die meisten von ihnen werden nicht wissen, warum, weil sie sich über ihre eigenen Gefühle nicht im Klaren sind und noch nie darüber nachgedacht haben. Ich weiß es auch nicht. Es ist wohl kaum erforscht, aber es gibt da viele Hypothesen. Die Psychologie ist voll davon.

Die Grausamkeiten, die Menschen einander antun, ziehen seit Urzeiten Zuschauer an: „Schaulustige, wie man sagt, obwohl das, was es da zu schauen gibt, gar nicht so lustig ist.

Schon im alten Rom saßen zu Hunderten Patrizier in den Arenen und ließen sich die Schauder über den Rücken laufen, wenn die Gladiatoren von wilden Tieren zerfetzt wurden, oder wenn sie einander mit und ohne Waffen bearbeitet haben, bis einer von ihnen am Boden lag. Die Zuschauer hoben den Daumen nach oben, wenn sie den Besiegten am Leben lassen wollten, und senkten den Daumen nach unten, wenn er sterben sollte.

Die Gladiatoren waren Sklaven, verurteilte Verbrecher, Kriegsgefangene, in späterer Zeit auch Freie, darunter viele Christen. Einer von ihnen war Spartakus. Er floh und organisierte einen Sklavenaufstand. (73-71 v. u. Zr.) Trotz des Verbots durch Kaiser Konstantin, 325 nach u. Zr., wurden bis etwa 500 n. u. Zr. Gladiatorenkämpfe veranstaltet.

Öffentliche Hinrichtungen durch Steinigen, Kreuzigen, Köpfen, Hängen und Zu-Tode-Foltern wurden von der Menge begafft wie heute Gewaltvideos. Es ist der Blick in die menschlichen Abgründe, wo die Gier nach Macht über Leben und Tod, wo unterdrückte Allmachtswünsche sichtbar werden. Durch das Zuschauen hat der Voyeur teil an dieser Macht. Daraus erklärt sich auch der nicht verstummende Ruf nach dem Henker.

Ich habe einen Gewaltexzess erlebt. Und nicht verhindern können. Ich war im Sommer 44 rekrutiert worden und wurde ausgebildet bei Verdun. Wir schoben nachts Wache bei den Kasematten aus dem 1. Weltkrieg. Am Tage hatten wir frei. Ich saß an einem Nachmittag mit anderen Soldaten auf einer Weide. Es waren Kameraden meines Jahrgangs und ältere. Wir hatten unsere Waffen schussbereit zur Hand. Neben uns grasten Pferde. Plötzlich stand einer unserer Ausbilder, ein Obergefreiter, auf, entsicherte seine Maschinenpistole, zielte auf eins der Tiere und schoss. Mehrere Kugeln trafen die Halsschlagader. Das Pferd torkelte, drehte sich im Kreise und brach zusammen...

An das Gesicht des Mörders kann ich mich nicht erinnern. Ich hatte nur das sterbende, das leidende Tier wahrgenommen. Und das Entsetzen meiner Jahrgangskameraden…

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* Sigrun Hopfensperger

Beslan, 3. September 2004

Beim ersten Nachdenken über das Geschehen zeigt sich, wie abgenutzt unsere Sprache ist. Was empfinde ich? Nichts als Trauer über die Opfer dieses tragischen Wahnsinns und ebenso Trauer über die Täter und Täterinnen.

Ihnen, die den Sprengstoff am Gürtel trugen und die Kalaschnikow in der Hand, ist jedes Mitgefühl abtrainiert worden. Man hat ihnen sogar die Angst genommen, die Angst vor der Tat, die Angst vor dem eigenen Tod. Man hat sie zu Maschinen gemacht, zu Tötungsmaschinen, fähig zu eiskalter Brutalität.

Man, das sind die so genannten Hassprediger, Verblendete, deren religiöse Paranoia sich auf Andere überträgt. Sie haben die jungen Desperados, Menschen ohne Zukunft, ohne Hoffnung, in ihren Bann gezogen. So entstehen gefährliche Psychosen, entsteht die kollektive Henkermentalität von Exekutivkommandos, die jeden Befehl ohne nachzufragen und ohne Regung ausführen können.

Das Prinzip Befehl und Gehorsam auf die Spitze getrieben. Wir kennen das. So etwas gab es auch in Deutschland. Gerade deshalb verbietet sich uns zu glauben, wir seien ihnen moralisch überlegen. Wer von uns weiß denn schon, wie groß unsere Gehorsamsbereitschaft und wie niedrig unsere moralischen Schranken sind?!

Anfang der sechziger Jahre gab es Experimente, die auf erschreckende Weise gezeigt haben, dass fast jeder Mensch zu allen Grausamkeiten fähig ist:
die (Stanley) Milgram-Experimente:
http://www.stangl-taller.at/TESTEXPERIMENT/experimentbspmilgram.html

Putin sieht im tschetschenischen Terrorismus ein Gesamtphänomen und ignoriert die spezifischen Ursachen, die dazu geführt haben, dass sich möglicherweise der tschetschenische Aufstand jetzt zum Dschihad ausweitet und bereits in das islamistische Terrornetzwerk einbezogen ist. Die Ursachen sind historische und gegenwärtige: zaristischer, stalinistischer und nun großrussisch-neonationalistischer Terror, unter dem Tschetschenen zu leiden haben. Zaren haben das muslimische Volk unterdrückt, Stalin ließ es nach Sibirien und Kasachstan deportieren. Erst ab 1956 durfte es in seine Heimat zurückkehren. Und Putin glaubt, mit seiner „Politik der harten Hand - sprich: Staatsterror - den Zerfall Großrusslands aufhalten zu können. Er übersieht dabei, dass eine „Politik der harten Hand destruktive Energien bei den Unterdrückten schafft, die eine Zeit lang gegen einen äußeren Feind, den internationalen Terrorismus z. B., eingesetzt werden, sich aber ebenso gegen den Unterdrücker wenden können. Und genau dies Letztere geschieht in Tschetschenien.

So wie der Glaube an die moralische Überlegenheit, den der US-amerikanische Präsident verkündet, noch mehr Hass und Gewalt auf der Gegenseite hervorruft, wird Putin Tschetschenien gewaltsam nicht befrieden können. Was Not tut, sind Umsicht, Beharrlichkeit und Güte, konkret: Achtung der Menschenrechte und des Völkerrechts, Verständigungsbereitschaft, faire Verhandlungen, Interessenausgleich, materielle (Wiederaufbau-) Hilfe und, wenn keine andere Konfliktlösung möglich ist, Gewährung nationaler Unabhängigkeit Tschetscheniens.

(Als Leserbrief in der RZ vom 07.09.04 und unter dem Titel Terror und Staatsterror in der FR vom 10.09.04)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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