RELIGIONEN

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

Sind Religionen Brutstätten der Gewalt?

Gespräch zweier junger Legionäre

Autodafé?

Erbsünde

Schuld und Sühne im Christentum

 

 

 

 

 

 

 

 

Sind Religionen Brutstätten der Gewalt?
Oder machen sie gegen Gewalt immun?

Ethik und Gewalt, Spiritualität und Gewalt, Geist und Macht,

besser gesagt: UNGEIST und Macht

 

 

 

 

 

Schon der freigeistige König von Preußen, der bekanntlich mit Voltaire befreundet war, hat Glaubensfragen zur Privatsache erklärt und gesagt, man solle sich da nicht einmischen. Und weil auch ich durch verschiedene Schulen der (philosophischen und psychologischen) Aufklärung gegangen bin, habe ich gewisse Schwierigkeiten, aus meiner Sicht solche Fragen zu beantworten, ohne zu verletzen. Es sind ja sehr subtile Fragen, und man trifft, selbst wenn man nicht, wie Nietzsche, mit dem Hammer philosophiert, doch leicht ins Mark.

Bei den monotheistischen Religionen Hinduismus, orthodoxes Judentum, Christentum und Islam waren oftmals Glaubensfragen Anlässe zu Gewalttaten, und sie sind es heute noch. Das liegt an ihrem Anspruch auf Rechtgläubigkeit und an der Widersprüchlichkeit ihrer Lehre. Dies verleitet zu willkürlicher Interpretation und zur Rechtfertigung von Untaten. Christliche Theologen sprechen von einer „Glaubensgewissheit und suggerieren damit etwas, was es gar nicht geben kann, weil es auf bloßer Einbildung beruht.

Keine dieser Religionen ist pazifistisch, also frei von Gewalt. Selbst Jesus war längst nicht so sanft, wie er meistens dargestellt wird. Ein Beispiel: „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schwiegertochter wider ihre Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eignen Hausgenossen sein. Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist mein nicht wert… (Matth. 10, 34-38, Lutherübersetzung, Stuttgart 1963) Dabei ist nicht einmal sicher, dass es diesen Jesus, der im NT beschrieben wird, überhaupt gegeben hat.*

Beim (authentischen) Buddhismus ist die Absage an jegliche Gewalt eindeutig und klar in der Ethik verankert und psychologisch begründet. Das gibt es bei keiner anderen Religion. Wenn Menschen, die „BuddhistInnen genannt wurden, dennoch gewalttätig und sogar grausam waren, so geschah dies niemals im Namen ihrer Religion und nicht „in Gottes Namen, sondern weil sie das Dharma, die Buddhalehre, und das Wichtigste: die Ethik nicht verinnerlicht haben.

Der Buddhismus ist gottlos. Alles andere sind Mischformen, die sich vom ursprünglichen Buddhismus entfernt und bisweilen seltsame Blüten getrieben haben wie der Schintoismus, in den ab 6. Jh. buddhistische Elemente eingeschmolzen wurden. In Japan verkam die buddhistische Moral zu Ahnenkult, Patriotismus und Kampfsport. Damals entstand das japanische Zen. 1868 begann man sogar, Zen für militaristische Zwecke zu missbrauchen. Man benutzte die meditative Konzentrationspraxis, um junge Männer total zu entmündigen und aus ihnen für den Tenno, den „Gott-Kaiser, gefügige, todesbereite, aufs Äußerste disziplinierte Soldaten zu machen. Daher auch das große Interesse von SS-Führern an diesem „Buddhismus.** Wo das hingeführt hat, wissen wir.

Auch Shao Lin hat mit der Ethik, die der Buddha gelehrt und vorgelebt hat, heute nichts mehr zu tun. Shao Lin, später als Kung Fu bekannt, war von Bodhidharma, der im 6. Jh. von Indien nach China gekommen war, aus dem Zazen, der gegenstandslosen Meditation im Lotussitz, weiterentwickelt worden zu einer meditativen Bewegungslehre und wurde bald von den Mönchen in höchster Vollkommenheit praktiziert. Körper und Geist völlig in Einklang, vollbrachten sie körperliche Leistungen, die noch niemals erreicht worden waren. Und als ihr Kloster von bewaffneten Banden überfallen worden war, begannen sie, Methoden der Selbstverteidigung zu entwickeln. Der Erfolg war derart frappant, dass der Kaiser sie bat, ihre Kampfkunst in den Dienst seines Landes zu stellen und seinen Truppen zu helfen, Eindringlinge zu vertreiben. Zwar blieb esbei defensiven Kampfformen, aber ihre scharfen Schwerter töteten. Das war ein Bruch mit der Lehre des Buddha. Shaolin ist heute ein einträgliches Showgeschäft.

Es ist wohl Menschenart, alle großen Philosophien, alle Weisheitslehren, zu verwässern und aus allem Geld oder alles kaputt zu machen. Damit man wieder von vorne fangen kann? Da bleibt uns ja nicht andres übrig. Vielleicht ist dies der Sinn unseres Menschseins.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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*Um mich sachkundig zu machen, habe ich Anfang der 60-er Jahre drei Exemplare des NT gekauft, zwei davon auseinander geschnitten und mir eine Synopsis aus den Evangelien zusammengestellt. Dabei ist mir außer vielem Widersprüchlichen aufgefallen, dass mit einer Ausnahme alles, was Jesus gesagt haben soll, Zitate aus dem AT sind und die meisten Legenden aus älteren Quellen stammen. Die Ausnahme ist die Bergpredigt, und diese befindet sich, wenn ich mich recht erinnere, in den ebenfalls älteren Schriften von Qumram, wie auch vieles andere darauf hindeutet, dass die Essener Vorläufer des Christentums waren.

Bereits im 2. Jh. n. u. Z. hat der römische Platoniker Celsus die Grundlagen der christlichen Religion in Zweifel gezogen, Widersprüche aufgedeckt und zur christlichen Sittenlehre bemerkt, dass »diese Dinge besser bei den Griechen ausgedrückt« seien »und ohne hochfahrendes Wesen und Ankündigungen, wie wenn sie von Gott oder dem Sohne Gottes kämen«.

** Siehe Zen, Nationalismus und Krieg. Eine unheimliche Allianz von Brian Daizen A. Victoria, Theseus 1999, 399 S.

 

 

 

 

 

 

 

 

Gespräch zweier junger Legionäre

während der Überfahrt von Algerien nach Indochina 1951 auf einem Truppentransportschiff:

 

»»»  "Du bist Atheist, Miros?"

"Ich habe keine Vorstellung von Gott."

"Auch nicht als moralische Instanz in dir, die zum Beispiel sagt: ´Du sollst nicht töten!?`"

"Gott als Projektion des Ich? Ein Überich?"

"Du sollst nicht töten."

"Aber dieser Gott, folgt man der Bibel, hat durchaus das Töten gebilligt, unter Umständen sogar befohlen, Renard. Und Christen haben Gott um Beistand gebeten im Krieg, auch gegen andere Christen. Auf beiden Seiten der Front sind zu jeder Zeit Soldaten samt ihrer Waffen von Feldgeistlichen im Namen Gottes gesegnet worden. Soldaten, die bereit sein sollten, sich für Gott, Volk und Vaterland zu opfern. Und hat dieser Gott, der Christengott, nicht selber einen Menschen geopfert?"

"Seinen Sohn, ja."

"Den Menschen hat er geopfert, um ihn, seinen Sohn als Gott? als was?  heimzuholen wohin? In den Himmel?"

"Ein Problem der Theologen. Daran sind schon viele Köpfe zerbrochen, weil der Verstand bemüht worden ist, ein im Bereich des Religiösen völlig ungeeignetes Organ. Mystik entzieht sich unserer Logik."

"Ja, die Theologen haben die Religion, das Wesen der Religion zerstört. Sie haben das Religiöse zerredet und zerdacht."

"Und durch dogmatische Konstruktionen ersetzt."

"Und die sind mit Feuer, Folter und Schwert verbreitet und verteidigt worden."

"Und mit Lügen. In der Nazizeit hat ein Pfarrer zu uns Pimpfen gesagt, Jesus sei blond gewesen und deshalb kein Jude."

"Weißt du, Renard, daß Jesus in Indochina Schlitzaugen hat? Theologen werden sagen, seht ihr, das Religiöse erscheint in vielerlei Gestalt. Sie werden es lächelnd sagen, im Bewußtsein, an der Allwissenheit ihres Gottes teilzuhaben. Sie benutzen heute nicht mehr das Schwert, sondern das Lächeln. Du bist kein Christ, Renard."

"Ich habe nie einer werden können. Ich finde, wir müssen uns von unseren Vätern emanzipieren, Miros. Auch von dem eingebildeten Vater, diesem Übervater. Erst dann sind wir erwachsene Menschen."

"Das sehe ich ebenso, Renard. Außerdem ist eine Religion, der ein Menschenopfer zugrundeliegt, und sei es symbolisch, für mich nicht akzeptabel. Aber: Was ist Religion?"

"Das ist schwer zu sagen. Vielleicht ist RELIGION ein Gefühl der Zusammengehörigkeit alles Lebendigen. Dieses Gefühl hast du, wenn du sehr tief dich selber als Teil der Natur empfindest und nicht mehr als ein isoliertes Ich."

"So empfinde ich es, Renard. Da schau!"

Soeben passieren wir eine kleine Insel.  Sie besteht aus Bäumen. Sie scheint zu schwimmen. Die Wurzeln ragen hoch aus dem Wasser heraus. Es sieht aus, als stünden diese Bäume auf ihren Kronen und streckten ihre Wurzeln in den Himmel.

Miros sagt: "Da möchte ich sein."

"Du bist auch dort", sage ich.   «««

 

Aus „Der Ritt auf dem Ochsen oder Auch Moskitos töten wir nicht, S. 53 f.

 

 

 

 

Autodafé?

 

An einen, der die Bibel öffentlich verbrennen will

 „Wo man Bücher verbrennt, 

verbrennt man am Ende gar auch Menschen.

Der Freigeist Heinrich Heine

Hundert Jahre später, am 10. Mai 1933, wurden auch die Bücher des „Juden Heine" verbrannt, obwohl er keiner war. Auf Befehl des Jesuitenschülers Goebbels. Der Antijudaismus, den dieser „vom Glauben abgefallene Joseph predigte, war ins Rassistische umgemünzter christlicher Judenhass. Der begann beim Apostel Paulus und wurde im Johannes-Evangelium fortgesetzt, dann im Barnabasbrief, während des Mittelalters und der Reformation, in den dreißiger Jahren beim österreichischen Klerus und bei den „Deutschen Christen der Nazizeit.* (Mir z. B. hatte solch ein deutscher Christ einzureden versucht, Jesus sei blond gewesen und deshalb kein Jude. Ich habe ihm das auch später nicht abgenommen, als ich 12 Jahre danach in Algerien eine blonde Araberin, die ja Semitin war, gesehen habe – im Puff. Auch das gibt es. Die Haare waren nicht gefärbt.)

Im Jahre 213 v. u. Zr. sind zum ersten Mal Schriften verbrannt worden: die des Konfuzius. Auf kaiserlichen Befehl. Im Mittelalter waren es „ketzerische Schriften, die der Inquisition zum Opfer fielen, ebenso die Bücher Boccaccios und Petrarcas. Und 1534 wollten die Wiedertäufer Martin Luthers Schriften verbrennen, sicherlich nicht wegen der antijüdischen Passagen **. Ob sie es dann auch getan haben, weiß ich nicht.

Was ich damit sagen will: Solche symbolischen Akte haben entsetzliche Folgen gehabt. Die verbrannte Literatur allerdings ist stets wieder auferstanden. Ich habe nach 1945, als die „verjudete Literatur" und die „entartete Kunst nach Deutschland zurückkehrte, überhaupt erst begriffen, dass und in welchem ungeistigen Gefängnis wir gelebt hatten.

Sollten wir die Vertreter der Kreuzesreligion jetzt etwa auch ans Kreuz nageln? Ist es nicht besser, „bei der Sache zu bleiben und von Fall zu Fall die Fakten selber sprechen zu lassen, wenn religiöser Glaube pervertiert und Amtsautorität missbraucht wird?! Ich z. B. habe mich dazu erzogen, auf persönliche, verletzende Polemik möglichst zu verzichten.

Es gibt in beiden Großkirchen innerkirchlichen Widerstand, Reformbestrebungen, die mehr sind als Anpassungsversuche an den Zeitgeist, und es gibt soziales, ökologisches und pazifistisches Engagement. Ich kenne evangelische und katholische Geistliche, die dabei mitwirken und mitunter ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzen. Sie sind offen für Kritik.

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* Quellen bei Karlheinz Deschner, Abermals krähte der Hahn, Stuttgart, 2. Aufl. 1964, II. Teil: Das Verhältnis (der Kirche) zur Toleranz, S.442 ff.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erbsünde

 

 

Wie erleichtert wäre das allgemeine Gefühl des Lebens,
wenn man mit dem Glauben an die Schuld
auch vom alten Instinkt der Rache sich losmachte (…)
Schaffen wir den Begriff der Sünde aus der Welt –
und schicken wir ihm den Begriff der Strafe bald hinterdrein!

Friedrich Nietzsche: Morgenröte, Werke, München 1966, Bd.1, S.1150

Lasst mich hier noch etwas, das die abendländische Kultur und Ethik und uns selber zutiefst geprägt hat, hinzufügen: die Vorstellung einer Erbsünde = Erbschuld = kollektiven Schuld.

In der Bibel gibt es diese Begriffe nicht. Theologen verwiesen jedoch auf Textstellen in Neuen Testament: Römer 7 (Paulus), Johannes 5, 19 und Lukas 11, 13 (Jesus). Hintergrund ist die Weltsicht der spätjüdischen apokalyptischen Schriften. Satans Fall, Verführung Adams und Evas, „mit denen dann die ganze Menschheitsgeschichte in Unordnung, Ungehorsam und Leid versank (A.T., 2. Esra 7). Auf diesem apokalyptischen Hintergrund deuten Paulus und andere neutestamentliche Autoren das Erlösungswerk Christi als Sieg über die ungeheure Macht der ererbten Sünde und des Bösen. Damit habe er die Menschheit wieder mit Gott versöhnt und den Frieden gebracht. Soweit die Encarta Enzyklopädie 2004.

Die Kirche hat sich mit dieser Doktrin große Teile der Menschheit hörig gemacht, und noch heute wird so etwas geglaubt. Vor allem Kinder werden damit gefügig gemacht. Selbst wo dieser Glaube durch die Aufklärung verdrängt worden ist – verdrängt, nicht ausgemerzt, wirken in vielen Menschen unbestimmte Schuldgefühle fort. Es ist eine permanente Angst, zu versagen und bestraft werden, ohne zu wissen, wofür. Und noch heute beten Viele, ohne darüber nachzudenken und zu bemerken, wie infantil solche Vorstellungen sind:

Vater unser im Himmel, …vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

„Die Versuchung, das war der Apfel und das war der Baum der Erkenntnis. Sinnlichkeit und Intellekt. Das, was uns als Menschen ausweist. Natur und Geist. Die Herabsetzung der menschlichen Natur und sinnlicher Lust klingt immer noch durch in Redewendungen wie „Sie (die »Jungfrau«) hat ihre Unschuld verloren.

 

 

 

 

Schuld und Sühne im Christentum

 

 

Nicht zufällig kenne ich einige gläubige Katholikinnen, die unter schweren psychosomatischen Beschwerden leiden, zurückzuführen auf Schuldgefühle, Folgen sexualfeindlicher Erziehung in Kirche und Elternhaus. Und es gab einen katholischen Priester, der in seiner Dissertation Kirche und Religion einer scharfsinnigen und vernichtenden Kritik unterzogen hatte, unter Druck gesetzt wurde und nach seinem Kirchenaustritt an Schuldgefühlen zu Grunde gegangen ist: Freitod. Ich habe ihn persönlich gekannt und erfahren, dass er nicht der Einzige war, den die Kirche „auf dem Gewissen hat.

Bei den Evangelen ist man heute subtiler. Schuldpredigten à la Luther gibt es nicht mehr. Aber immer noch bekommen Grundschulkinder – sicherlich nicht überall, ich will das nicht verallgemeinern – einen Religionsunterricht im alten Stil. Glaubensunterweisung nennt man das wohl. Meine Enkelinnen haben davon berichtet. Auch wird beim Gottesdienst in der evangelischen Kirche gemeinsam das „Vaterunser gesprochen.

»Sinnlichkeit und Intellekt. Das, was uns als Menschen ausweist. Natur und Geist.« Das ist nicht dualistisch gemeint, sondern ganzheitlich-komplementär. (Wie Yin und Yang)

* Vergebung setzt Schuld voraus. Und wer Vergebung und damit Fremderlösung erwartet, macht sich von einer realen oder imaginären Instanz abhängig und ist nicht frei, nicht autonom, nicht selbstbestimmt. Eben dies anzustreben, sich zu emanzipieren, das lehrte der Buddha.

(11 .09. 04)

 

 

 

 

 

 

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