POLITIK

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wer glaubt,
das Politische aus dem Privaten
heraushalten zu können,
wird leicht zum Spielball der Politik.
 

 

 

 

BI „Nix mit Abwasserstricks sammelt Unterschriften für ein Bürgerbegehren
gegen dubiose Geldgeschäfte (CBL) der Stadt Recklinghausen mit
US-amerikanischem Trust. März 2003

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

Brief an die Kurt Hiller*-Gesellschaft e.V

Wer war KURT HILLER?

Brief an dieselbe Adresse

Israel in Palästina oder Palästina in Israel?

Die Neue Frauenbewegung

„Elite -  Ironie oder merkwürdiger Bedeutungswandel eines Begriffes?

Professoren - Der aufrechte Gang

Für eine soziale Politik, lokal/global

I. Die sozialen Probleme - Fakten und Faktoren

II. Die sozialen Probleme: Arbeitslosigkeit beseitigen – durch Wirtschafts"wachstum"?

III. Die sozialen Probleme: Arbeitslosigkeit beseitigen, aber wie?

Misere an unseren Universitäten

Das Völkerrecht – Ein kleiner Diskurs

Ursachen für das Scheitern des Sozialismus

Volksherrschaft

Zurück zum Vaterland?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Brief an die Kurt Hiller*-Gesellschaft e.V.:

(...) Der "realexistierende Sozialismus" ist untergegangen, eine Apoka­lypse mit verheerenden Folgen besonders in Russland, wo, wie überall in den ehemaligen "Ostblockstaaten", das Reich Gottes in Gestalt eines alle selig machenden Kapitalismus erwartet wird. Jetzt ist dank Ihres Briefes ein anderer Sozialismus aus der Vergessenheit hervor­geholt worden, einer, der Literatur geblieben ist und es wohl auch bleiben wird. Er war ein Kind des deutschen Idealismus, manchen ein Ärgernis und blieb im Schatten der "großen" Politik.        

Ich bin selber Hillerianer gewesen (um 1966/67/68). Heute frage ich mich, ob es bei Kurt Hiller überhaupt einen brauchbaren Ansatz zur Lösung der Probleme unseres (neuen) Jahrhunderts gibt. Ich meine die (globalen) öko-sozialen Probleme, deren Ursachen mehr als 500 Jahre zurückreichen, als christliche Eroberer begannen, so genannte primitive Kulturen, in Wahrheit tief in ökologischem Fühlen und Denken verwurzelte Kulturen zu vernichten, und als in Europa die Weisen Frauen der Inquisition zum Opfer fielen.

Nun sind in den vom Kolonialismus heimgesuchten Erdteilen nicht nur die indigenen, sozialen Strukturen zerstört, sondern auch weite Teile der Natur. Und es sind überall auf unserm Planeten die natürlichen Grundlagen aller Menschen, Tiere und Pflanzen in einem noch nie da gewesenen Maße bedroht.

Deshalb werden die (vordergründig ethnologisch-nationalis­tischen) Konflikte im  21. Jh. mehr denn je ökologische Ursachen haben. Es werden Kriege um Ressourcen sein, die, von den Industrienationen verschwendet, immer knapper werden. Der Golf-­Krieg war ein solcher.

Innenpolitisch gesehen, ist unsere Gesellschaft heute viel zu komplex, um sie auf ein Links/Rechts‑Schema reduzieren zu können. Wir sollten die ideologischen Relikte aus der Nazizeit zwar ernst nehmen, ihre Bedeutung aber nicht überbewerten oder sie gar durch Aktionen aufwerten. Gewiss, der Neofaschismus ist rassistisch-eurozentrisch; eurozentrisch insofern, als die Weißen in Kanada, in den USA und Südamerika Nachfahren europäischer Einwanderer sind. Dieser Neofaschismus ist international vernetzt. Dennoch sehe ich darin keine politische Gefahr. Die Übergriffe auf Ausländer und Inländer "fremder" Herkunft werden durch politische Aufklärung nicht zu verhindern sein, eher durch praktische Jugendarbeit psychotherapeutisch geschulter "Streetworker", Lehrer und Lehre­rinnen, durch gelebte Solidarität, durch Partnerschaften, gemeinsame Projekte vor allem junger Menschen mit den (potentiell) Betroffenen. Der beste Schutz vor Fremdenfeindlichkeit ist eine Kultur- und Sozialpolitik, also eine soziokulturelle Politik, die Ängste wie die Xenophobie gar nicht erst aufkommen lässt. Multikulturalität und (soziale) Integration statt Ausgrenzung. 

Deshalb wäre in meinen Augen eine Tagung unter dem Motto Wieder gilt: "DER FEIND STEHT RECHTS"  wenig hilfreich, um unseren Problemen, den Problemen einer seit der Kaiser- und noch mehr seit der Weimarer Zeit sich rapide verändernden Welt, auf den Grund zu gehen. Der FEIND ist, wenn wir einen solchen irgendwo stehen sehen, in uns selbst. Das erkannte schon der Buddha. Daran sind alle pazifistischen Bemühungen gescheitert.

Kurt Hiller habe wenige Jahre vor seinem Tod gesagt: "Der Hass hält mich jung." Verstehen kann ich das; ich führe es auf das (kollektive) Trauma der jüdischen Völker zurück. Gutheißen kann ich es nicht, auch wenn es ironisch gemeint sein soll.

Es ist unphilosophisch, mit anderen Worten: nicht gerade weise. Polemik dient der (eigenen) "Triebabfuhr", nicht der Verständigung zwischen Menschen, die gegensätzlicher Meinung sind. Solange wir aufeinander herumhacken (wie auch in der Weimarer Zeit gesche­hen), kann kein Frieden entstehen. Frieden erfordert Güte und ein hohes Maß an (psychischer) Stabilität, die durch Selbstdisziplin erwor­ben werden kann.

Es ist leicht, auf Strukturen zu verweisen, auf die Machtver­hältnisse; solange wir selber Nutznießer solcher Verhältnisse sind, und wir sind es als Angehörige einer der reichsten Industrienationen, solange wir nicht selber die notwendigen Konsequenzen ziehen und unsere Lebensweise ändern, in ökologischer und sozialer Hinsicht, wird all unser Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit vergeblich sein, im Kleinen wie im Großen, ganz abgesehen davon, ob wir irgendeinen Einfluss auf die Politik, auf die Gesellschaft, auf einzelne Menschen haben oder nicht. Der Rest sind akademische Fragen.

Die Dinge lassen sich zum Guten wenden, wenn wir unser anthropozentrisches Denken aufgeben.

(18.1.2001)

*

* Wer war KURT HILLER?

Er war ein Berliner, daselbst 1885 geboren, ein an Nietzsche geschulter Polemiker und Kosmopolit. Jurist und Philosoph. Dissertation: „Die kriminalistische Bedeutung des Selbstmordes (1907). Schriftsteller. Mitbegründer des Literarischen Expressionismus; Leiter des "Neuen Club" und des Cabaret "Gnu"; Autor zahlreicher Artikel in "Pan", "Sturm" und "Aktion".

1914 will er die Politik „vergeistigen und gründet  den „Aktivismus. Vorbild: der Philosophen-Staat Platons, die „Herrschaft der Geistigen, der Besten. 

1916-24: Herausgeber der Jahrbücher „Das Ziel – Manifeste des Tätigen „Geistes.

Gründet den Bund zum Ziel, Aktivistenbund, ab 1918  Politischer Rat geistiger Arbeiter.

 Ab1919:Führendes Mitglied der Deutschen Friedensbewegung; 1926 Gründung der Gruppe Revolutionärer Pazifisten" (1933 aufgelöst).

Publikationen zur Liberalisierung der Strafbestimmungen gegen Homosexualität: "§ 175: die Schmach des Jahrhunderts!"  Mitarbeit im "Wissenschaftlich-humanitären Komitee" von Magnus Hirschfeld.

1924-33: Einer der Hauptautoren der "Weltbühne", neben Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky.

1933-34: Mehrmals verhaftet und in den KZs Brandenburg und Oranienburg schwer gepeinigt. Flucht nach Prag ins Exil; dort Versuche, die linken Exilanten zu vereinigen.

1938 flieht er vor dem drohenden Einmarsch der Nazis nach London.

1939-47: Gründer und Leiter des Freiheitsbundes Deutscher Sozialisten, der mittels Rundbriefen eine Vereinigung der Sozialisten im Exil anstrebt. Gründer und Leiter der Gruppe Unabhängiger Deutscher Autoren, die literarisch-politische Lese- und Diskussionsabende veranstaltet.

1955: Rückkehr nach Deutschland, Hamburg.

1955-66: Mitarbeit an vielen neuen, oftmals hektographierten Zeitschriften, darunter "Baubudenboet", "contra", "Zwischen den Kriegen", "Lynx".

1956: Gründer und Leiter des Neusozialistischen Bundes, der Hillers Freiheitlichen Sozialismus propagierte.

1969-73: zweibändige Autobiographie "Leben gegen die Zeit"; Bd.1: Logos, Bd.2: Eros (posthum).

Weitere Bücher: Die Weisheit der Langenweile (1913), Der Aufbruch zum Paradies (1922), Verwirklichung des Geistes im Staat (1925), Der Sprung ins Helle (1932), Köpfe und Tröpfe (1950), Ratioaktiv (1966)

1972: Tod in Hamburg.

*

Aus einem weiteren Brief an dieselbe Adresse:

(...) Ich hatte 1931, als ich fünf Jahre alt war, ein Schlüsselerlebnis, dessen politische Bedeutung mir erst vierzehn/fünfzehn Jahre später bewusst geworden ist, 1945/46: Mein Vater hatte einen Matzen, den ich bei meinen Exkursionen durch unsere kleine Stadt (von einem Juden) geschenkt bekommen und vor Freude strahlend nach Hause gebracht habe, kurzerhand in einen Abfalleimer geworfen.

Als ich zehn war, begann man zu Hause, in der Schule und in der so genannten Hitlerjugend, uns einzureden, wir gehörten einer Elite an, die berufen sei, Deutschland groß zu machen und der "arischen Rasse" die Weltherrschaft zu erkämpfen. 1945 war der kindliche, dann pubertäre Omnipotenztraum keineswegs zu Ende, und ich fand mich immer wieder bei irgendwelchen Eliten wieder, die sich zwar nicht auf Platon und Kurt Hiller beriefen, aber als die Besten galten, z.B. als bestausgebildete und besonders "schlagkräftige" Soldaten. Ich empfand, jedenfalls eine Zeit lang, sogar einen gewissen Stolz, einer Eliteeinheit anzugehören.

1966 war es dann Kurt Hiller, der mich über die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Elitegedankens belehrt hat, und ich habe die utopische Idee einer "Herrschaft der Besten", Platons Staatsphilosophie, mit derselben Verve wie er gegen alle wohlmeinenden Skeptiker verteidigt.

Sie erwähnen Hillers Kritik am demokratischen Mehrheitsprinzip und relati­vieren zugleich seine „logokratische Utopie, in dem Sie von der Notwendigkeit einer "Teilhaberschaft an der Macht durch charakterlich und geistig kompetente Menschen" sprechen.

Wer bezeugt einen solchen charakterlich und geistig kompetenten Menschen? Wer wählt die Anwärter für die politische Elite aus? Und wer garantiert, dass daraus nicht eine neue Kaste entsteht, eine Brahmanenkaste einer Theokratie ohne Gott.

Wie die Erfahrung zeigt, ist der menschliche Charakter keine sichere Konstan­te. Ich habe selber erlebt, was hinter der Fassade zum Beispiel militärischer Tugenden ist, 1945, in der Gefangenschaft, mit Generälen, die mir bis dahin stets Vorbild waren. Auch später habe ich mich immer wieder in Menschen getäuscht.

Das (Stanley) Milgram-Experiment hat gezeigt, was es mit der Charakter­festigkeit eines (fast) jeden Menschen auf sich hat und wie niedrig die moralischen Schranken sind:  65% der Testpersonen erwiesen sich in bestimmten Stress-Situationen als zu allem fähig, wobei niemand voraussagen kann, wie die restlichen 35% sich verhalten, wenn solch eine Situation nicht in einem Experiment simuliert wird, sondern ausweglose Wirklichkeit wäre. (…)

Bevor wir also nach Strukturen, nach politischen Systemen, nach den Macht­ver­hältnissen fragen, sollten wir ‑ jeder/jede - zunächst einmal vorbehaltlos uns selber befragen. Meistens zeigt sich dabei, dass und wie weit wir diese Verhältnisse verinnerlicht haben und nicht sie bekämpfen, sondern die Ideologie, mit der sie begründet werden. So erklärt sich mancher (politische) Gesinnungswandel.

Sie kritisieren ohne Gnade die 68er-Generation aus eigener Erfahrung, deren Unfähigkeit, Kinder zu erziehen, und werfen ihr vor, beim Marsch durch die Institutionen versagt zu haben.

Nun, ich war dabei, als ein etwas älteres Semester. Deshalb kann ich Ihnen gut sagen, was uns damals bewegt hat: das Schweigen unserer Väter zu ihrer Nazivergangenheit und eigene Betroffenheit, ihre restaurative Politik, die autoritären Strukturen des Adenauerstaates (auch nach 1963), Militarisierung und Kalter Krieg, Enttäuschung und Empörung über die USA, die einerseits in Westdeutschland den Weg zur Demokratie frei gemacht, andererseits nichtkommunistische Diktaturen errichtet hat und mit fadenscheinigen Begründungen Kriege führte, so in Vietnam, wo mit unvorstellbarer Grausamkeit die Menschrechte außer Kraft gesetzt worden sind.

Wir, eine Gruppe um Wolfgang Beutin, hatten Kurt Hillers kategorische Ablehnung jeglicher Auflehnung gegen das pseudodemokratische System und seinen ebenso kategorischen Antimarxismus nicht mehr mittragen können und uns der Protestbewegung angeschlossen.   

Die 68er-Protestbewegung hatte bei aller Vielfalt gemeinsame Ziele in einem "linken Spektrum", wie es damals hieß. Dieses reichte vom DDR-Sozialismus über einen "Sozialismus mit menschlichem Gesicht" (Alexander Dubĉek) bis zum jesuanisch-christlichen und zum bakunistischen Anarchismus. Damals entstand die Idee einer "antiautoritären Erziehung" - aus einem Missverständnis, für das der Rowohlt-Verlag verantwortlich ist. Dieser Verlag publizierte nämlich das erste Summerhill-Buch von A. S. Neill unter dem Titel Theorie und Praxis antiautoritärer Erziehung. Originaltitel:Summerthill, A radical Approach to Child Rearing. Was wohl etwas anderes bedeutet. Und in der Tat, Alexander Neill war kraft seiner Persönlichkeit selber eine Autorität und praktizierte eine nichtautoritäre Erziehung.

Theorien, die der eigenen Mentalität entsprachen, waren für viele Intellektuelle Offenbarungen. Deshalb wurde der "kleine" Unterschied nicht bemerkt. Also wurde mit Kindern experi­mentiert. Die haben es später ihren Eltern sehr übel genommen, dass man sie, oft mit zusammengebissenen Zähnen, gewähren ließ und sie mit ihren wirklichen Bedürfnissen z. B. nach liebevoller Zuwendung allein gelassen hat.

Ebenso überinterpretiert wurden Freud und Wilhelm Reich, und von Marx und Engels las so mancher jeweils das heraus, was er zur Untermauerung seiner "Politik" brauchte. Anwendung fand auch die Methode, ein Haar in der Suppe zu finden und, wenn keins drin war, eins hineinzuprojizieren, um die ganze Suppe für ungenießbar zu erklären.

Es wurde nächtelang diskutiert, analysiert und debattiert, mit großer Lust (die ich anfangs dabei selber empfunden habe). Es wurde auseinander genommen und wieder zusammengesetzt, mitunter: zurecht­gebogen, so lange, bis die Realitäten dem eigenen Denken angepasst und die eigenen Ansichten durchgesetzt waren. "Sektierer" war ein beliebtes Schimpfwort. Meistens ging es dabei um Machtpositionen Einzelner oder ganzer Gruppen. Dasselbe wiederholte sich nachher bei den Grünen.

Dennoch ist einiges bewegt und verändert worden. Hatte Adenauer mit seinem Machtwort Keine Experimente! die Massen an sich binden können, derart, dass seinen Kindern auch nichts anderes einfiel, - jetzt war die Geschichte wieder in Gang, mit ihrem ständigen Wechsel von Reform und Gegenreform. Wie beim Pendel einer alten Uhr. So gesehen, hat sich bis heute nichts geändert. Außer der Uhr. Es ist eine digitale. Und das ist der ganze Fortschritt. Immerhin, die BRD (wie wenig wir uns mit diesem Staatsgebilde identifizieren konnten, zeigt das Kürzel) ist aus ihrer politischen Erstarrung erlöst worden.

Heute sind es nicht mehr Ideen, Ideologien, Theorien, Philosophien und schon gar nicht ethische, die die Politik beeinflussen, geschweige denn bestimmen, von militärstrategischen und ökonomischen Theorien einmal abgesehen. Es sind die Zwänge, die sich aus den technologisch-technischen und ökonomischen Entwicklungen und deren Globalisierung ergeben. Prozesse, die sich bald völlig verselbstständigt haben werden, so, dass der Mensch sie weder aufhalten noch steuern kann.

Noch liegt die ganze Macht in den Händen des Großkapitals, und dieses ist allein daran interessiert, dass "der Rubel rollt". Wie sollen da ein paar Ethiker diese Welt verändern können? Die Politiker, die qua ihres Amtes für das Wohl des Ganzen sorgen sollen, sind entweder Repräsentanten der Wirtschaftsmächte und dreier großer Militär-Industrie-Komplexe (MIK): USA mit allen NATO-Staaten, Russland, China. Oder sie werden, wie kleine Staaten auch, gegeneinander ausgespielt und sind total überfordert.

Man sagt, Macht korrumpiert. Da ist etwas dran. Teilhabe an der Macht etwa nicht? Wer sich in den Machtzentren bewegt, verliert den unmittelbaren und vor allem dauerhaften Kontakt zu den Menschen, die man unter dem Begriff "das Volk" subsumiert, besonders zu denen, die an falscher Politik am meisten zu leiden haben. Dafür sorgen nicht nur die Bodyguards. Man erhält Privilegien, um Zeit und Kräfte zu sparen - "für die großen Aufgaben". Man wälzt mit Seinesgleichen Probleme, die mit einer Masse von Informationen, von Zuarbeitern auf den Punkt gebracht, auf dem Schreibtisch bzw. im Computer landen.

Hier entsteht eine Abhängigkeit, die leicht zu missbrauchen ist und dann zu solchen Fehlentscheidungen und Missgriffen führen kann, wie wir sie einem Joschka Fischer und einem Rudolf Scharping ankreiden. Sie waren ja kaum im Amt, als sie mit dem Kohlerbe und einem Teil seines Apparates die Balkankrise lösen helfen sollten und dabei in eine Zwickmühle gerieten.

Rücktritte hätten vielleicht aufhorchen lassen, mehr wohl nicht. Im Nachhinein ist man meistens klüger. Vielleicht wäre dies ein Signal für eine neue Friedensbewegung gewesen, wahrscheinlich nicht. Denn in unserer saturierten Gesellschaft herrscht Desinteresse. Probleme und Konflikte jenseits des eigenen Gartenzauns dienen allenfalls dazu, ein latentes Gewalt­bedürfnis am Bildschirm zu befriedigen. Und die Massenmedien sangen mit den beiden christlichen Kirchen das Lied von den humanitären Maßnahmen der NATO und kommentierten deren Krieg als gerechten. Mein Pazifismus hat mir von Anfang an etwas anderes gesagt. Pazifismus: ein Streitpunkt zwischen Kurt Hiller und mir, 1969.

Ich versuche hier nur, Handlungsweisen, Umständen und Motiven nachzu­spüren und sie zu verstehen, nicht etwa, sie zu rechtfertigen.      

Das Gefühl, einer "Machtelite" anzugehören, und die Lust an der Macht, einer zumeist illusorischen Macht, steigert das Selbstwertgefühl, wie wir aus der Geschichte wissen, manchmal bis zum Wahnsinn. Zumindest verschieben sich die Perspektiven. Selbst der Pförtner am Eingang und die Putzfrau empfinden sich da als etwas Besonderes. Ich kannte einen Postbeamten, der im Langen Eugen am Schalter saß, Briefmarken verkaufte, Sonderbriefmarken an Besucher, jeden Morgen und jeden Abend ein paar Abgeordnete, manchmal sogar einen Staatssekretär vorbei gehen sah und sich mit dem Flair eines Geheimnisträgers umgab; in gewisser Weise war er einer.

Anders als in Frankreich hatte die Protestbewegung der 60er/70er Jahre keine Basis in der Arbeiterschaft, u. a. weil die deutschen "Linksintellektuellen" sich ihr nicht verständlich machen konnten und, wo dies gelang, psychische Abhängigkeiten, reale und irreale Ängste daran hinderten, sich frei zu schwimmen.

Als bei Kneipenlesungen, organisiert von der VHS mit dem Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, Bergarbeiter und eine Arbeiterfrau ihre Texte lasen, Gedichte und Geschichten aus ihrem Alltag und von kleinen Revolten am Arbeitsplatz, sind wir beinahe hinausgeworfen worden von - Arbeitern. Der Gedanke an Autonomie, Selbstbestimmung, Basisdemokratie machte ihnen Angst. Obrigkeitsfixierung, strukturelle Gewalt und die Aussicht auf materiellen Wohlstand blockierten jeglichen Freiheitsdrang. Auf die Straße gingen sie nur im Schutze einer großen Organisation, einer Gewerkschaft z. B., und wenn man ihnen dabei ein Pils und ein Schmalzbrot spendierte.

Damals, in den 70-ern, begann der Marsch durch die Institutionen. Viele von ihnen öffneten sich, besonders Volkshochschulen. Es wurde "mehr Demokratie gewagt". In NRW haben Dozenten und Dozentinnen gemeinsam Curricula für die politische Bildung erarbeitet, und in Seminaren wurde lebhaft darüber diskutiert, wie und wie weit Basisinitiativen durch Projektarbeit gefördert und unterstützt werden können. Stadtteilkulturarbeit kam in Gang, dank eines aufgeschlossenen Dezernenten zuerst in Recklinghausen, und machte in ganz Westdeutschland Schule.

Feministische Forschung, Frauenförderprojekte, Arbeit und Leben (Arbeiterbildung), Arbeitskreise für Oral History, Theaterkreise, Literaturwerkstätten und Werkstätten für sozialdokumentarische Fotografie standen auf den Programmen. Auch die Ruhrfestspiele wurden "umfunktioniert". Aus einem bildungsbürgerlichen Amüsierbetrieb wurde ein hochpolitisches Forum für Theater, Kabarett, Tanz, Musik, Kunstausstellungen und Diskussionen mit Aufsehen erregenden Aktionen vor allem am 1. Mai.

Vieles geschah "an der Basis". Viel Energie wurde freigesetzt. Vieles wurde erreicht und ist heute selbstverständlich. Die Jüngeren wissen oft gar nicht, dass und wie es erkämpft worden ist. 

Die Ökologie wurde entdeckt, wieder entdeckt, nachdem schon Anfang der 60-er vor dem Terror der Technik (Bodo Manstein) gewarnt worden ist. Eine neue Bewegung entstand, und es wurde versucht, aus einer Vielfalt von Initiativen und Basisgruppen mit unterschiedlichen und z. T. einander widerstrebenden Interessen eine Partei zu organisieren, eine Partei-Nichtpartei: DIE GRÜNEN, ein Agglomerat. Es waren aufregende Zeiten. (…)

Inzwischen hat sich in Deutschland die strukturelle Gewalt wieder durchgesetzt, und die Ökonomie mit seinem MIK verdrängt die Politik bzw. engt sie ein. Wer soll die Kapitäne, die mit uns auf einen Eisberg zusteuern, von der Brücke herunterholen? Das können doch nur Demokraten sein, Demokraten von der Basis, einer aufgeklärten, aktiven. Daran sollten wir trotz allem weiterarbeiten, so zusagen als Entwicklungshelfer. Die großen Entwürfe können wir uns dabei sparen. Sie lassen sich nicht verwirklichen und kosten uns nur Zeit und Energie, die wir dringend brauchen, um den Alltag, den politischen wie den privaten, zu beweltigen (eben: ohne Gewalt).

13.2.2001

© Dietrich Stahlbaum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Israel in Palästina oder Palästina in Israel?

 

 

 

 

 

 

Der blutige Konflikt im Nahen Osten ist gewaltsam nicht zu lösen.

Dass es dazu kommt, hat schon 1948 ein jüdischer Emigrant aus Deutschland, der 1934 in Berlin verhaftet und von SA-Leuten fast zu Tode geprügelt worden war, vorausgesehen. Er hat damals in seinem Londoner Asyl davor gewarnt, in Palästina einen israelischen Großstaat zu schaffen : Kurt Hiller, politischer Philosoph und Aktivist, neben Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky Mitautor der "Weltbühne".

Palästina befand sich seit 1923 unter britischem Mandat, 1947 wurde gegen den Willen der arabischen Bevölkerung eine Zweiteilung des Landes beschlossen, die Briten zogen zum 14.5.1948 ihre Truppen zurück, und am gleichen Tag wurde der Staat Israel ausgerufen.

Hiller: »Die Gegengefühle der arabischen Welt sind verständlich. Dem arabischen Semiten sind die europäisch technisierten, energischen, aktivistischen Juden, die einströmen, zu „arisch. Er glaubt zwar nicht an ihre kulturelle, aber er verschließt sich keineswegs der Einsicht in ihre zivilisatorische Überlegenheit (…) Das Arabertum wünscht vom türkischen Joche 1918 nicht deshalb befreit worden zu sein, um 1948 sachte unter das jüdische zu geraten. Es erblickt im Zionsjudentum die Vorhut« eines »europäisch-amerikanischen Imperialismus (…)

Man sollte Palästina aufteilen! Im Norden ein Stückchen davon Syrien geben, im Süden ein Stückchen Ägypten, Libanon mit Geld abfinden und den Löwenanteil Abdullah von Transjordanien geben – den jüdischen Rest den Juden, damit sie daraus ihren Staat machen.» *

Hiller sah in der massenhaften Zuwanderung von Juden aus aller Welt eine große Gefahr für die Völker des Nahen Ostens, mehr noch für die jüdischen als für die arabischen:

»Besteht nicht die Gefahr, daß der Tempel von Jerusalem zum drittenmale zerstört wird? Und die mindestens gleich große, dass, um jener abzuwenden, die junge jüdische Nation sich in einem Grade verkriegerischt, mit dem verglichen der hohenzollersche Militarismus eine Quäkerei war?«

Auch in Israel gibt es Juden und Jüdinnen, die Sharons Bulldozerpolitik ablehnen. Es gibt jüdische und palästinensische Friedensgruppen und Kriegsdienstverweigerer. Sie bemühen sich unter schwierigsten Bedingungen, manchmal sogar unter Lebensgefahr um Versöhnung und Vernunft. Wir sollten sie unterstützen. **

 

 

 

 

 

 

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* Thesen zur JudenfrageinKurt Hiller: Ratioaktiv; Reden 1914-1964 , Wiesbaden 1966, S. 221 ff. Das Buch ist sicherlich in einigen Bibliotheken vorhanden und kann zur Fernleihe angefordert werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Neue Frauenbewegung

 

 

 

 

 

 

Ich will es euch auch gleich verraten: ich bin ein alter Feminist. Denn meine Frau war in der

Neuen Frauenbewegung von Anfang an dabei. Sie hat in Recklinghausen das erste Frauenzentrum mitbegründet und jahrelang an den Debatten und Aktionen teilgenommen, und sie hat viel gelesen, ältere Frauenliteratur und das, was seit den 68-er Jahren zur Frauenfrage erschienen ist. (Eine kleine Titelauswahl hier am Schluss, damit ihr seht, was damals diskutiert worden ist.)

Da mich soziale Fragen und Bewegungen immer schon interessiert haben, habe ich auch für Feministinnen ein offenes Ohr und habe, wo das möglich war, zu Hause, im Kreise anderer Frauen und bei Veranstaltungen, bei denen Männer wenigsten anwesend sein durften, den Diskussionen und Gesprächen zugehört und wenig gesagt. Nicht zuletzt, weil mir vor lauter Fettnäpfchen, die ich da überall stehen sah, nichts mehr einfiel und die Frauen sich erst einmal selber finden wollten.

In ein solches Fettnäpfchen habe ich, anfangs noch völlig unerfahren, bei einer VHS-Veranstaltung zum Thema „Frauen - Friedfertigkeit und Gewalt reingetreten. Es gab einen Höllenlärm und ich, der einzige Mann im brechend vollen Saal, musste mich wie ein begossener Pudel fühlen und sollte das wohl auch. Dabei hatte ich lediglich eine Gerichtsstatistik erwähnt. Sie besagte, dass die Mehrzahl der von Frauen begangenen spontanen Gewalttaten kurz vor der Menstruation begangen wurden und werden. Inge Donnep, die spätere Justizministerin in NRW, war entsetzt: „Das ist Biologismus! Frauengewalt hat nichts mit unserer Natur zu tun! Das kann ich nicht glauben!

Im Saal konnte ich meine Erklärung dafür nicht loswerden, aber nach der Veranstaltung sprach mich Inge Donnep an, und ich sagte ihr, ich hätte nicht die Absicht gehabt, Frauen zu verletzen und herabzusetzen, sondern im Gegenteil, über einen psychosomatischen Zusammenhang aufzuklären, und das würde viel zum Verständnis solcher Gewalttaten beitragen können. Als deren Ursachen nannte ich sexuelle Unterdrückung und sexuellen Frust. Die Juristin Donnep war über diesen ihr neuen Aspekt überrascht, hat ihn dann aber akzeptiert.

1968 rebellierten Studentinnen bald massenhaft gegen ihre (männlichen) Kommilitonen, die ebenfalls rebellierten – zunächst gegen den „Muff unter den Talaren, dann gegen den Vietnam-Krieg, "ihre" Frauen jedoch nicht mitdiskutieren und Beschlüsse fassen ließen. Sie durften für die Männer Kaffee und Tee kochen und Brote schmieren. Dieser Protest war der Anfang einer neuen Frauenbewegung in Deutschland. In den USA war sie bereits eine Weile im Gange.

1975 erregte Alice Schwarzers Buch Der kleine Unterschied und seine großen Folgen Aufsehen weit über Westdeutschlands Grenzen hinaus. A. Schwarzer wies nach, dass das "patriarchalische Prinzip" seit Jahrtausenden alle Lebensbereiche bestimmt und zur Unterdrückung der Frauen geführt hat. Seitdem streitet sie unermüdlich für die Selbstbestimmung der Frau, für die Emanzipation ihrer Geschlechtsgenossinnen und fordert sie auf, ihrem Beispiel folgend, die Männerdomänen eine nach der anderen zu erobern und sich die volle Gleichberechtigung zu erkämpfen – bis hin zum „Dienst an der Waffe bei der Bundeswehr. Dass dabei Frauen in die von uns Männern geschaffenen Gewaltstrukturen eingebunden werden, hat sie wohl nicht bedacht.

Heute – das ist mein Eindruck – passen sich sehr viele junge Frauen in Deutschland immer mehr den männlichen, den patriarchalen Leitbildern an, weil sie sich dadurch in unserer hoch technisierten, schnelllebigen, von Rücksichtslosigkeit und Gewalt, Macht- und Gewinnstreben deformierten Welt mehr Erfolg versprechen als durch Nachsichtigkeit, Sanftmut, Toleranz und Güte (Sigrun). Eine Illusion. Denn dieses Erfolgsstreben zieht nach sich den Frust, und der bedeutet LEIDEN, Süchte, Ängste.

Die Emanzipation des Menschen hingegen erfolgt vor allem durch Selbstbefreiung von inneren Zwängen, die – uns unbewusst – unser Handeln bestimmen. Das ist für alle Menschen ein lebenslanger Prozess.

Literaturauswahl:

Simone de Beauvoir: „Das andere Geschlecht, deutsch seit 1960
Alice Schwarzer, s. o. und „Mit Leidenschaft, Texte 1968-1982, 1982
Ursula Krechel: „Selbsterfahrung und Fremdbestimmung, 1975
„Nicht friedlich und nicht still – Streitschriften von Frauen zu Krieg und Gewalt, hg. Ruth-Esther Geiger u. Anna Johannesson, 1982
Herrad Schenk: „Frauen kommen ohne Waffen – Feminismus und Pazifismus, 1983
Margarete Mitscherlich: „Die friedfertige Frau – Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter, 1985
Vandana Shiva: „Das Geschlecht des Lebens – Frauen, Ökologie und Dritte Welt, 1988
Elisabeth Gould Davis: „Am Anfang war die Frau – Die neue Zivilisationsgeschichte aus weiblicher Sicht, 1977
Maya Nadig: „Die verborgene Kultur der Frau – Ethnopsychoanalytische Gespräche mit Bäuerinnen in Mexico, 1986
„Sein ist das Weib, Denken der Mann - Ansichten und Äußerungen für und wider die gelehrten Frauen, gesammelt von Renate Feyl, 1984

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ironie oder merkwürdiger Bedeutungswandel eines Begriffes?

 

 

 

 

 

 

Bitte, bezichtigt mich jetzt nicht der Wortklauberei! Aber mir ist zu den »ökonomischen und politischen Eliten in den westlichen Ländern» Interessantes eingefallen.

Manfred Schwirske* verwendet da einen Begriff, der zum soziologischen Terminus geworden ist, ursprünglich jedoch eine ganz andere Bedeutung hatte: Elite. Nach WAHRIG (Fremdwörterlexikon, seit 1974) »erstklassige Auswahl«, abgeleitet von élite (frz.)! Bei KLUGE (Etymologisches Wörterbuch) bedeutet es Auswahl der Besten, ebenfalls aus dem frz. élite, das Auserwählte, abgeleitet.

Das wollte schon der weise Sokrates, dem Platon (427-347 v. u. Zr.) die Worte zugeschrieben hat: „Ehe nicht in den Staaten entweder die Geistigen (die Philosophen) Könige sein werden oder die Könige und Machthaber geistige Menschen, Kenner und Könner zumal, und dies in eines zusammenfällt: die Macht und der Geist, jenen vielen aber, die heute auf beides getrennt ausgehen, der Weg unerbittlich verlegt wird, …eher nimmt das Elend kein Ende (…), der Staaten nicht und nicht des Menschengeschlechts, und eher kann der Staat, wie wir ihn erträumen, nicht ins Wirkliche wachsen, nicht das Licht der Sonne erblicken. **

Die „Herrschaft der Besten, das wollte auch Kurt Hiller, der dies auf seine Weise aus der politeia*** übersetzt und Platons Elitegedanken in seine politische Philosophie übernommen hat. Er nannte es Logokratie, eine „Teilhaberschaft an der Macht durch charakterlich und geistig kompetente Menschen. Ich habe damals – um 1966 - seine Ideen mit derselben Verve wie er gegen alle wohlmeinenden Skeptiker verteidigt. Platon war der erste Idealist, Kurt Hiller ist wohl einer letzten gewesen.

Beide – Platon wie Hiller – sahen die Realitäten mit scharfem Blick, und Hiller kritisierte sie auch mit scharfen, bissigen Worten. Dabei verschonte er keinen der damaligen Politiker, die ihm nicht gepasst haben, weil sie seinen Idealen nicht entsprachen – seit der Weimarer Zeit. Damals waren es in erster Linie die Nazis und deren Wegbereiter.

Platon hatte über das Staatswesen nachgedacht, und aus seinen Postulaten (sittlichen Forderungen) lässt sich schließen, dass schon damals in der Politik Korruption, Macht- und Geldgier geherrscht, also nicht gerade „die Besten regiert haben. Ja, Manfred, auch heute sind gewisse „Eliten dabei, ihren Besitzstand zu vergrößern und abzusichern, auf Kosten aller anderen und des Staates, der dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Diese „Eliten sind immerhin so schlau, rund 2/3 der Gesellschaft an ihrem Reichtum – nicht jedoch an ihrer Macht – teilhaben zu lassen, um zu verhindern, dass sozialer Sprengstoff entsteht. Das dritte Drittel lebt in den noch vorhandenen sozialen Nischen von schlecht bezahlten Nebenjobs, Schwarzarbeit, Second-Hand-Waren und anderem, was vom Tisch der Reichen übrig bleibt, oder sie beschafft sich das, was sie entbehrt, auf kriminelle Weise. So versucht jedermann, jede Frau, die eigene Haut zu retten. Die Solidargemeinschaft ist kaputt, kaputt gemacht worden. Eine Verelendung nun auch der „ersten Welt zeichnet sich ab.

Wir bekommen amerikanische Verhältnisse. Die Amerikanisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik greift über auf die Innenpolitik. Der selbstmörderische Terrorismus, der sich gegen die Dominanz des Westens und des Nordens (Russland) richtet, bewirkt, wie seinerzeit die RAF, eine Militarisierung unserer Gesellschaft, ja, unserer gesamten Zivilisation. Am Ende steht der Überwachungsstaat mit einem Kontrollsystem, von dem die Diktatoren des 20. Jahrhunderts noch nicht einmal geträumt haben. Und wieder einmal ist es die SPD, die sich zum Büttel des KAPITALS, der "Machteliten", machen lässt.

Soweit diese kurze Beschreibung eines Ist-Zustandes, die durchaus nicht pessimistisch verstanden werden, sondern zu der Frage anregen soll: Was muss denn nun geschehen - konkret?

 

 

 

 

 

 

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* Siehe auch: http://f27.parsimony.net/forum66372/messages/518.htm

**Aus: Kurt Hiller:Ratioaktiv, Wiesbaden 1966, S.294 f. Mehr über KH im Zeitfragenforum Link Politik.
***Der Staat

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der aufrechte Gang

 

 

 

 

 

 

Es gibt sie, die Professoren, die damals, als Ernst Bloch den „aufrechten Gang postulierte, Studenten waren und keine Rückgradverkrümmung bekommen haben. Einer von ihnen ist Wolfgang Beutin, ein Wissenschaftler, der in der deutschen Literatur zu Hause ist, Mitinitiator und Autor eines der wichtigsten Grundlagenwerke: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2001, 6. Aufl., sowie zumeist politischer Romane, einiger Gedichte und vieler literaturwissenschaftlicher, historischer und politischer Publikationen, ein imposantes Lebenswerk, dessen neustes der Roman Knief oder Des großen schwarzen Vogels Schwingen soeben bei Königshausen & Neumann, Würzburg, erschienen ist (2003). Es ist die Geschichte eines jungen Revolutionärs und Wegbereiters der Bremer Räterepublik (1919).

 Beutin, dem aus politischen Gründen eine Professur verweigert worden war, hat sechs Jahre lang gegen die Stadt Hamburg prozessieren müssen, um 1977 als fest angestellter Dozent der Uni anerkannt zu werden. Bis dahin gewährte man ihm von Semester zu Semester jeweils einen Zeitvertrag! Es war die Zeit der Berufsverbote.

 Seine Lehrveranstaltungen waren dem akademischen Establishment zu radikal. Nun, er ging den Dingen auf den Grund und bereicherte die Germanistik um brisante Gesellschaftskritische Aspekte. Bekannt wurden damals seine ersten Hörspiele und die von ihm herausgegebene ZeitschriftLynx.

Später haben wir uns bisweilen freundschaftlich gestritten: als er anfing, Nonnenmystik aus dem Mittelalter, Barlach-Dramen und andere Werke der Literatur psychoanalytisch auseinander zu nehmen. (Siehe Die Geschichte vom Karpfen in diesem Forum unter:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ATTAC-Kritik gegen 2010 in Recklinghausen am 20. September 2003.

 

 

Für eine soziale Politik, lokal/global

 

„Soziale Politik - ein Stolperstein? Ein Knüppel zwischen den Beinen? Was zurzeit in Deutschland den Blutdruck von Millionen Menschen hochtreibt, das ist die Sozialpolitik. Eine Sozialpolitik, die als unsozial empfunden wird, eben: nicht als soziale Politik. Auf der einen Seite. Auf der anderen als eine Politik, die unsere Volkswirtschaft samt dem freien Unternehmertum in den Ruin treibt. Und wer wird dafür verantwortlich gemacht – von beiden Seiten? DIE REGIERUNG, nicht wahr? In erster Linie jedenfalls. Und die Parteien, die sie stellen. „Die Roten und „Die Grünen. Zu „Den Roten zählt man noch die Gewerkschaften. Und „Die Grünen? Da ist man sich über die Farbe nicht mehr ganz einig. Ich kann das nicht so genau beurteilen, denn bei mir hat man schon als 16-jährigem, als ich mich für eine Pilotenausbildung bewarb, eine leichte Farbenblindheit konstatiert: bei den Grüngrau-Tönen! Das ist wohl auch der Grund, weshalb ich diese Partei vor 12 Jahren verlassen habe. Entschuldigt bitte diese kleine, persönliche Abschweifung.

Sozialpolitik verengt den Blick auf Probleme unserer Gesellschaft, auf den Staat, auf Deutschland, innerhalb der Grenzen, die uns heilig sind, wie es der Tellerrand ist. Dabei wird zumeist übersehen, dass es in vieler Hinsicht keine autonomen Nationalstaaten mehr gibt, dass auch wir Deutschen in die "übrige Welt" eingebunden und von ihr abhängig sind. Demnach soziale Politik sowohl lokal als auch global sein muss.

Ein Weiteres: Wer regiert denn eigentlich? In Deutschland? In den anderen europäischen Staaten? In den USA? Haben Regierungen überhaupt so viel Handlungsspielraum, wie sie benötigen würden, um soziale Gerechtigkeit annähernd (wieder) herzustellen? Sind Regierungen mittlerweile nicht nur noch Erfüllungsgehilfinnen übermächtiger Wirtschafts"bosse", die jede Regierung auflaufen lassen, wenn sie versucht, gegen deren Profit-Interessen zu handeln? Haben sie nicht das Meinungsmonopol?

Haben wir eine Demokratie freier, politisch aufgeklärter und engagierter Bürger/innen, die mit ihrer Mehrheit den Kurs der Wirtschaft bestimmen, oder eine Wirtschaftsdemokratie, eine Oligarchie?

Was würde passieren, wenn die Bundesregierung (unabhängig davon, welche Parteien sie stellen und wer Kanzler ist) daranginge, statt ständiger Flickenteppichstopferei die Wirtschaft und damit unsere Gesellschaft von Grund auf zu reformieren und zwar im Sinne des Grundgesetzes, Artikel 20,1 (BRD ein demokratischer und sozialer Bundesstaat) und Artikel 14,2 („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.) und Artikel 15 („Sozialisierung)?

Ihr seht das Theater, das auf der politischen Bühne gespielt wird. Aber seht ihr auch das, was hinter den Kulissen vor sich geht?

Kommt es jetzt zuerst einmal nicht darauf an, so viel Gegenöffentlichkeit herzustellen, dass das Meinungsmonopol unterlaufen und Meinungsvielfalt und damit echte Demokratie (wieder) hergestellt wird? Den Anfang hat die internationale Friedensbewegung gemacht. Wir sollten uns nun nicht auseinanderdividieren (lassen) und gemeinsam überlegen, wie es weitergehen soll.

Um Frieden zu schaffen, bedarf es einer sozialen Weltinnenpolitik.

Das pfeifen schon die Spatzen von den Dächern, die wenigen, die es noch gibt. Aber zu viele Menschen scheinen es noch nicht zu hören.

 

 

I. Die sozialen Probleme - Fakten und Faktoren

 

Die sozialen Probleme Armut und Elend, Gewalt, Kriminalität und frühes Siechtum sind existentielle Teilprobleme eines komplexen, vielschichtigen Ganzen und können nur im Kontext des Ganzen gelöst werden. Denn ebenso vielfältig und komplex sind ihre Ursachen. Sie hängen (fast) alle miteinander zusammen und voneinander ab. Die Wirkungszusammenhänge sind netzartig verknüpft und verbunden, ebenso vielfältig und mehrdimensional und daher nicht so einfach zu beschreiben wie die Entstehung des Ozonlochs oder einer Dürreperiode. Ich kann sie hier auch nicht grafisch darstellen, aus technischen Gründen – es wäre ein mehrdimensionales Bild -, sondern muss die Fakten und Faktoren linear, ohne Querverbindungen und Verweise, aneinanderreihen. Es ist unvollständig, eine Mini-Zusammenschau, und sicherlich nicht ohne Fehler.

Ich werde nach und nach versuchen, die einzelnen Knoten zu lösen, den Ursachen nachzugehen und zu sagen, was aus meiner Sicht sich ändern muss, was geändert werden muss. Anfangen könnte man hier bei jedem dieser „Stichworte. Ich beginne bei der

A R B E I T S L O S I G K E I T

technisch-/technologischer Fortschritt ↔ partielle Überproduktion

Schlachtfeld WIRTSCHAFT

Absatzmärkte

Globalisierung, ökonomische, kulturelle

Weltwirtschaft:

supranationale Unternehmen (Multis)

Geldwirtschaft/Banken, Versicherungen ↔ Aktienhandel, Börsenspekulation

Finanztransaktionen ↔ Kapital-/Steuerflucht (CBL) ↔ GATS

Rüstungswettlauf/-industrie, Waffenhandel ↔ Kriegsfolgen

Staats-/private Verschuldung ↔ Armut/Elend, in Deutschland, in „3. Welt

nationale Wirtschaft:

Export/Import(-abhängigkeit nationaler Ökonomien)

Wirtschaftswachstum

Fehlinvestitionen (Bsp. Metrorapid, ungenutzte Industriestandorte…)

Städtekonkurrenz statt Kooperation

soziale Kosten ↔ Gesundheit (System, Schul-, Apparatemedizin, Pharmakonzerne) ↔ Altersversorgung

Löhne/Gehalt/Einkommen ↔ Konsum/-Werbung: Kaufsucht ↔ Verschwendung + Naturzerstörung

Bewusstsein/Kultur(en) - Umdenken, anders leben:

Ökologie ↔ Ressourcen/Natur ↔ Sparsamkeit, Recycling, erneuerbare Energien

=: Sozial-ökologischer Umbau der Wirtschaft!

 

 

 

II. Die sozialen Probleme: Arbeitslosigkeit beseitigen – durch Wirtschafts"wachstum"?

 

In der Tat würde ein starkes Wirtschaftswachstum der Arbeitslosigkeit entgegenwirken, aber längst nicht in dem Maße, wie es uns versprochen wird. Denn die Techniken, die es erlauben, mit einem Mindestaufwand an Kosten Produktion und Dienstleistungen zu steigern, sind heute so weit entwickelt, dass mit immer weniger Menschen immer mehr produziert und an Diensten geleistet werden kann. Denken wir nur an die fast menschenleeren Fabrikhallen, in denen Roboter Autos zusammensetzen und lackieren. Der vollautomatische Kuhstall mit mehreren tausend Tieren, von zwei oder drei Technikern bedient, steht nicht in den Sternen, sondern in einer künstlichen Oase Saudi Arabiens. Und das Internet wird Zeitungen, Bücher und Briefpost zwar nie ganz ersetzen, jedoch erheblich reduzieren. Gehen wir trotzdem einmal der Wachstumsfrage nach:

Bedarf wäre vorhanden, am meisten in den Ländern der „3. und der „2. Welt.

Beispiel Exportartikel Nr.1: Unser Auto ist zum Modeartikel geworden. Wer es sich (noch) leisten kann oder auch nicht, kauft oder least von Mal zu Mal in kürzeren Abständen das jeweils neuste Modell. Und das wird immer aufwändiger, immer größer, immer schneller und ausgestattet mit immer mehr Elektronik. Dennoch sind unsere Kosten für die Anschaffung und Unterhaltung eines solchen weit geringer als die, die es durch Umweltschäden nicht allein in Europa, sondern ebenso in den Rohstoffländern des Südens verursacht. Der ökologische Faktor (sparsamer Verbrauch, Schadstoffreduzierung) spielt zwar in der Werbung eine große Rolle, entspricht aber längst nicht dem Stand technischer Entwicklung. Unsere Exportabhängigkeit macht uns auch politisch abhängig und bestimmt unsere Außenpolitik.

Nun beginnt in so genannten Schwellenländern Asiens wie China und Indien neben anderen Industrien die Autoindustrie sich zu etablieren. Das Wirtschaftsvolumen („Wachstum) erreicht in diesen Ländern von Jahr zu Jahr neue Rekordmarken, die Zahl der Arbeitslosen ebenfalls! Und noch etwas „wächst mit der Industrie: die Belastung der Natur. Der Verbrauch an Rohstoffen, die nicht nachwachsen, steigt noch schneller als schon jetzt, die Städte „wachsen vor allem an den Rändern, weitere Slums entstehen, die Landschaft wird versiegelt und verhunzt, die Natur vergiftet und verödet. Auch das Elend der Menschen wird dadurch nicht geringer. Dieser technische Fortschritt ist kein Segen für die Menschheit.

Wenn wir der Erde, von der wir alle abhängen, mehr wegnehmen, als sie nachwachsen lassen kann, graben wir unser aller Grab. Die Chemie kann mit ihren Produkten die Natur nicht voll ersetzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

III. Die sozialen Probleme: Arbeitslosigkeit beseitigen, aber wie?

 

Arbeitslosigkeit ist ein globales, ein weltwirtschaftliches Problem. Deshalb kann es von und in den einzelnen Staaten nicht gelöst werden. Die Massenarbeitslosigkeit begann, als Handarbeit und handwerkliche Arbeit, Manufaktur, durch Fabrikarbeit ersetzt wurde, und industrielle, in Massenproduktion billig hergestellte Wirtschaftsgüter die Märkte überschwemmten. Und so sind die meisten Arbeitsplätze durch den so genannten technisch/technologischen Fortschritt (Dampfmaschine, Elektrifizierung, Fließbandfertigung, Automatisierung, Computer und Roboter...) vernichtet worden! Gewiss, es sind neue Berufe und damit neue Arbeitsplätze entstanden, aber schon in den 60-er Jahren gab es in Westdeutschland Massenentlassungen (Stahl, Kohle), weil die Binnenmärkte gesättigt, Exportmärkte noch nicht genügend erschlossen und Stahl, Kohle und Arbeitskräfte im Ausland billiger waren. Außerdem fehlte die Kaufkraft im eigenen Lande.

In den 50-er/60-er Jahren konnten die arbeitslosen Bauernsöhne und Landarbeiter mit ihren Familien noch in die Industrie(städte) abwandern, als die Landwirtschaft industrialisiert, dann bald die Massentierhaltung eingeführt wurde und Großbetriebe die kleinen und mittleren Höfe verdrängten. Es waren schätzungsweise 1,5 Mio. Menschen. Heute, wo dieser Trend sich fortsetzt, seit der Wende vor allem in Ostdeutschland, und immer mehr Nahrungsmittel mit viel Chemie industriell hergestellt und auch importiert werden, gibt es nicht nur für Bauernsöhne und Landarbeiter keine neuen Arbeitsplätze mehr.

Inzwischen ist die ökonomische Globalisierung so weit fortgeschritten, dass fast die gesamte Weltwirtschaft von wenigen transnationalen Unternehmen beherrscht wird. Dennoch streiten auch bei uns miteinander Parteien, Interessenverbände, Gewerkschaften und „unabhängige Wirtschaftsinstitute, als hätte diese oder eine andere Regierung freie Hand. Und es wird daran herumgedoktert, das Wirtschaftswachstum *) wieder zu „beleben*).

Eine Seite sagt, wenn es sich wieder lohnt, in Deutschland zu investieren, weil Lohn- und Sozialkosten die Unternehmen nicht mehr „belasten, dann entstünden wieder Arbeitsplätze. Die andere Seite bestreitet dies und verweist auf Länder, in denen dadurch nicht mehr Arbeitsplätze entstanden sind, und meint, die (Massen-)Kaufkraft müsse durch höhere Löhne/Gehälter und geringere Sozialbelastungen der privaten Haushalte gestärkt werden. Aber auf beiden Seiten soll`s das „Wachstum bringen und man singt das Lied vom Bruttosozialprodukt (BSP).

 

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*) Dieses Wort suggeriert, Wirtschaftsprozesse seien Naturprozesse. Da ist Wachstum stets etwas Positives, sofern es sich nicht um „Unkraut handelt. (Ökologen sagen „Wildkraut. Vieles davon ist gesünder als hoch gezüchtetes Gartengemüse und schmeckt auch besser. Fragt mal meine Kräuter-(Frau!)

 

 

 

 

Misere an unseren Universitäten

 

Auch die Unis bleiben von deformierenden Reformen nicht verschont: Studiengänge sollen gestrichen werden, Lehrstühle  weg fallen, alles, was nicht der Wirtschaft dient, soll eingespart werden. Stattdessen plant man Studiengebühren und den Wegfall der Rentenanrechnung von Studienjahren.

Wenn das so kommt, wie angekündigt, dann haben wir bald wieder eine Klassengesellschaft, die nur diejenigen studieren lässt, die reiche Eltern haben oder einen Sponsor, früher sagte man „Protektor. Die Burschenschaften werden Zulauf haben, und Karl Marx dreht sich mit lautem Getöse im Grabe um.

Ende der 60er-Jahre rochen Berliner Studenten „den Muff von tausend Jahren unter den Talaren ihrer Professoren, und bald breitete sich eine ganze Bewegung aus. Man ging daran, Fenster und Türen unserer Universitäten zu öffnen, und hängte die Talare in den Wind.

Die rebellierenden Studenten und nicht wenige Professoren, die sich auf ihre Seite stellten, erstritten im Laufe der Jahre eine Reform des gesamten Bildungssystems. Die soziale Komponente wurde Schwerpunkt und Ausgangspunkt. Parole: „Bildung für alle! Nun konnten auch Arbeiterkinder ohne Einschränkungen studieren und Karriere machen. Manche von ihnen gelangten bei ihrem „Marsch durch die Institutionen bis ganz nach oben. Sie gehören heute zu der so genannten Elite und wissen nicht mehr, was da unten vor sich geht, denn sie leben in einem anderen Teil der Welt.

Jeder Reform folgt - wie einem fortschrittlichen Papst ein erzkonservativer - eine Gegenreform. An dieser Gegenreform arbeiten schon seit langem Kräfte, die ihre Privilegien und Profite in vollem Umfang wieder haben wollen. Die beste Gelegenheit dazu bietet sich jetzt. Der Sozialismus ist ad absurdum geführt, durch den real existierenden Ostblock, nun liegt unsere durch ökonomische Krisen, hohe Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Wählerschwund geschwächte Regierung der Wirtschaft zu Füßen. Die Opposition wartet nur noch darauf, dass Rotgrün die Schmutzarbeit zu Ende bringt, um der Regierungskoalition den Todesstoß zu versetzen. Sie kann dann ernten, was andere für sie gesät haben.

Da GEIST, es sei denn als Dekor des politischen Theaters, nicht mehr gebraucht wird, zumal der widerspenstige und pazifistische, der aus der Frankfurter Schule hervorgegangen ist und nicht nur in Soziologie und Politologie Wurzeln geschlagen hat, sondern in allen anderen Kulturwissenschaften, werden die entsprechenden Fakultäten als erste ausgehungert werden. GEIST ist ein Störfaktor in einer Spaßgesellschaft. Und Spaß fördert den Konsum.

Was dann übrig bleibt, die klassische Bildung z. B., Wagner auf dem Hügel und „Anatefka im Ruhrfestspielhaus, das besorgen dann die Sponsoren; früher nannte man sie „Mäzene. Die Literatur wird ja schon lange von den hoch gepuschten Bestsellern beherrscht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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(Leserbrief in der Recklinghäuser u. a. Zeitungen des Bauerverlages, Marl, am 4.11.03, und in der Frankfurter Rundschau vom 13.11.03, leicht gekürzt.) 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Völkerrecht – Ein kleiner Diskurs

 

Im Völkerrecht ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker festgeschrieben. Dies wird in der Regel auf die Unantastbarkeit fremder Staatsgrenzen bezogen. Demnach wird jede Einmischung von außen, die ohne Einwilligung geschieht, von den Betroffenen als Bruch des Völkerrechts missbilligt. Der Begriff Völkerrecht beinhaltet aber auch, wie der Name sagt, das Recht eines Volkes oder mehrerer Völker zum Beispiel in einem Staat. Wenn nun ein solches Volk vom Staat unterdrückt und ausgebeutet wird und nach Freiheit verlangt, was dann?

Ich verstehe das Völkerrecht als ein demokratisches, als Recht zur Selbstbestimmung eines Volkes auch gegenüber einem (repressiven) Staat. Somit kann eine Einmischung von außen gerechtfertigt sein. Wenn Völker sich von einem Tyrannen oder von einer nicht mehr zeitgemäßen Staatsform befreien wollen, sollten sie, wenn sie es erwarten, unterstützt werden, selbstverständlich in einer Weise, die ihnen nicht schadet.

Wenn nun ein arabisches Volk Mitbestimmung, Selbstbestimmung, Demokratie verlangt, dann ist das sein gutes Recht. Das muss keine Demokratie sein, die auf dem Boden unserer Kultur gewachsen ist, eine Demokratie nach europäischem Muster. Es sei denn, eine solche wird gewünscht. (Viele Araber leben im Westen und kennen unsere Demokratie - Anspruch und Wirklichkeit.) Sondern eher eine, die auf arabischem Boden gewachsen ist. Das haben nicht wir zu entscheiden.

Die Bush-Regierung liegt da völlig falsch. Wenn sie das nicht endlich einsieht, wird der islamistische Terrorismus kein Ende finden, solange noch ein einziger fremder Soldat auf arabischem Boden steht.

Interessant ist, dass bereits I. Kant über das Völkerrecht nachgedacht hat. Hierzu Zitate auf der Seite

hier im ZEITFRAGENFORUM.

 

 

 

 

Ursachen für das Scheitern des Sozialismus

 

These: "Der Sozialismus musste, wie jede politische Denkrichtung zuvor, zugrunde gehen, weil sich die Menschen nicht durch Theorien beherrschen lassen."

Wie erklärt sich dann die massenhafte Akzeptanz der faschistisch-völkisch-nationalistischen Ideologie mit ihren sozialdarwinistischen Rassentheorien in Deutschland, Österreich, in Italien und der letzteren auch da, wo sie lange vor der „Machtergreifung Hitlers entstanden sind, in Großbritannien?

Ideologie verstanden als politische Theorie (nach WAHRIG, FWB 2. Aufl. 2000). Wie tief diese Theorien in allen Schichten der Bevölkerung verankert waren und den Alltag bestimmt haben, habe ich aus eigenem Erleben in meinem Roman* beschrieben und Gründe dafür genannt. Ohne so viel Zustimmung hätte sich das NS-Regime nicht installieren und trotz schwerer Niederlagen im II. WK so lange halten können. Die Widerstandskämpfer waren in der Minderzahl. Wie viele Deutsche und ItalienerInnen sich innerlich von dem Regime abgewendet haben und in die „innere Emigration gegangen sind, ist unbekannt. Einer von ihnen war Gottfried Benn. Seine in der Nazizeit entstandenen und nach 45 veröffentlichten Gedichte und Prosatexte bezeugen es. Er schrieb, denn er wollte und musste das Grauen bannen, um zu überleben (zitiert aus dem Gedächtnis).

Der realexistierende Sozialismus hingegen wurde ja schon in den Anfängen vom Nationalsozialismus bekämpft und hat erst nach 45 in Deutschland(-Ost) installiert werden können, gegen den passiven Widerstand des Bürgertums, das dann auch entmachtet wurde. Das Sowjetregime ließ seinem Ableger in Deutschland und in allen anderen „Satellitenstaaten keinen Raum zu eigener Entfaltung. Die im Grunde idealistischen Theorien von Marx und Engels mit ihrem hohen humanistischen Anspruch, ihren Denkfehlern, ihren Widersprüchen und ihrer Unpraktikabilität („Diktatur des Proletariats) wurden z. T. uminterpretiert, auf Plakatformat zurechtgestutzt und, jeglicher Kritik entzogen, gelehrt und verbreitet.

Ich hatte 1976, kurz nach der Ausbürgerung des DDR-Liedermachers Wolf Biermann, Gelegenheit, mit einer Delegation der Kulturkooperative Ruhr die DDR zu erleben, zehn Tage lang in Leipzig, Weimar und Buchenwald. Unter uns war ein westdeutscher Liedermacher, der kurz vorher eine bundesweite Initiative der Solidarität mit Biermann gegründet hatte. Das war den DDR-Behörden bekannt. Ebenso wusste man alles über uns. Dementsprechend wurden wir mehr oder minder diskret überwacht. Dennoch gelang es einigen von uns, trotz voll gestopftem Programm die wenigen freien Stunden zu nutzen, um sich unbeobachtet und ungehindert in Leipzig umzusehen.

Die Parteifunktionäre hatten uns voller Stolz Potemkinsche Dörfer gezeigt. Jetzt sahen wir den wirtschaftlichen Verfall: Straßen, die nur noch mit Geländewagen befahren werden konnten, marode Fabriken, deren Abgase zum Himmel stanken, graue, kaputte Wohnhäuser, leere Regale in den Geschäften u. s. w. Die Straßenbahn fuhr uns für 25 Pfennige von einem Ende Leipzigs zum anderen. Dafür waren wir darauf gefasst, dass sie jeden Augenblick auseinander fällt.

In der Karl Marx-Uni diskutierten wir über unsere Literatur der Arbeitswelt, die wir, an die Arbeiterliteratur der 20er-, 30er Jahre anknüpfend und in Anlehnung an den Bitterfelder Weg (DDR), in zahlreichen „Werkstätten, u. a. auch in Recklinghausen, „hergestellt und publiziert haben.

„Bitterfeld, sagte man damals, 1976, fast mitleidig zu uns, „liegt längst hinter uns. Wir sind dabei, das kulturelle Erbe aufzuarbeiten. Gemeint war das „bürgerliche. Und irgendjemand fragte: „Auch Sigmund Freud? Die dialektisch bestens geschulten Professoren schauten, sichtbar überrascht, einander an. Dann sagte einer: „Ja, auch Freud. Später in Auerbachs Keller, wo Goethe und sein Faust gegessen und literweise Wein getrunken haben, kam es heraus: Einer aus unserm kleinen Kreis, der hier "bei Tische" saß, ein wissenschaftlicher Assistent, der bei der Diskussion in der Uni mit spitzen Ohren zugehört hatte, sagte: … Freud, ja. Ein kleiner ausgesuchter Zirkel hat begonnen, sich mit seiner Psychoanalyse zu befassen. Es soll herausgefunden werden, ob was und was davon für uns brauchbar ist. Die anderen, Reich, Jung, Adler usw., sind tabu. Für Tiefenpsychologie war beim DIAMAT, beim dialektischen Materialismus, der Staatsdoktrin der DDR, eigentlich kein Platz.

Tiefenpsychologie war subversiv und galt dort als sehr gefährlich. Dabei war der Mangel an sozial- und individual-psychologischer Einsicht einer der Hauptgründe für den Zusammenbruch dieses verknöcherten Systems.

Westbücher wurden heimlich gelesen, so auch die Kritik des real existierenden Sozialismus des „Dissidenten Rudolf Bahro: DIE ALTERNATIVE, in der DDR verboten, ein Jahr später im Westen erschienen. (Das Buch ist noch lieferbar!)

Einen ganzen Abend verbrachten wir, eine Gruppe von vier, fünf Leuten (unser Liedermacher war dabei), in der „konspirativen Wohnung einer jungen Frau, die wir am Nachmittag kennen gelernt hatten. Sie war Model, hatte Sprachen studiert, beherrschte mehrere davon und trat in ganz Europa auf. Sie kannte den Westen, den sie ausspionieren sollte, und war abtrünnig geworden. Von ihr wurden wir über Interna aufgeklärt, vor allem über den inneren Zustand der Bevölkerung, die heimlich am Fernseher saß, Westdeutschland als Konsumparadies wahrnahm und den Widerspruch von Theorie und Praxis, von Ideologie und Realität, von Ideal und Wirklichkeit immer mehr zu spüren bekam. Eines Tages war es dann soweit: Ein großer Teil, vielleicht der größte, wollte nicht mehr mit Parteiparolen gefüttert werden, sondern Bananen essen. Das Regime war ohnehin abbruchreif und konnte die letzten Monate nur noch dank westlicher Finanzhilfe überleben.

Alles zusammen – der Druck aus dem Westen, die materielle und die psycho-soziale Misere – hat zum politischen Kollaps dieses autoritären Staates geführt.

Ein paar Jahre nach der Wende machten wir Urlaub am Müritzsee und lernten dort ein Ehepaar näher kennen, das dem alten Regime nachtrauerte. Er ist Offizier der Bahnpolizei gewesen, sie höhere Postbeamtin. Sie hatten also dem Kader, der privilegierten Kaste angehört und hatten, verglichen mit westdeutschen Verhältnissen, in der DDR ein bescheidenes Auskommen gehabt. Was sie uns sagten, hat uns überrascht. Das Gleiche hörten wir später immer wieder von vielen „Ossis: „Im Westen gibt es keine Solidarität, kein Mitgefühl. Da denkt jeder nur an sich selber. Da schlägt uns Gefühlskälte und Arroganz entgegen. Da zählt nur die D-Mark und was man davon kaufen kann.

Wir, Ursel und ich, sind sehr nachdenklich nach Hause gefahren, und ich habe nach langer Zeit wieder einmal bei Marx nachgeschlagen. Zumindest der „junge Marx und wesentliche Teile des KAPITAL` sind auch heute lesenswert und hochaktuell. So hat er z.B. die neoliberale Globalisierung vorausgesehen und genau beschrieben. Ja, er hat sogar ökologisch gedacht und die großagrarische Bewirtschaftung als Natur zerstörerisch kritisiert.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass in diesem Jahr der Philosoph und Theoretiker Karl Marx an die dritte Stelle der zehn „besten Deutschen gewählt worden ist. Ob und wie weit da Manipulation im Spiele war, wie von bestimmten Kreisen abwertend behauptet wird, weiß ich nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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* „Der Ritt auf dem Ochsen oder Auch Moskitos töten wir nicht, Aachen 2000

 

 

 

 

Volksherrschaft

 

 

Winston Churchill, dessen Sarkasmus gefürchtet wurde, soll einmal gesagt haben: „Demokratie ist die schlechteste Staatsform, die es gibt. Und nach ein paar Zügen an seiner Zigarre: „Es gibt keine bessere.

In diesem Bonmot steckt die ganze Problematik der Volksherrschaft, welcher Art auch immer und von Anfang an. „Wiege der Demokratie ist das antike Griechenland. In den Stadtstaaten gab es zwar eine direkte „Demokratie, aaaaber lediglich eines kleinen Teils der Bewohner. Die Frauen, die Halbfreien, die Sklaven und andere galten als nicht politikfähig und waren von jeder aktiven Teilnahme an der Politik ausgeschlossen. Sie durften sich nicht an den Diskussionen und Entscheidungen beteiligen. Die Politik wurde von Männern gemacht, und das waren nur wenige Privilegierte. Von daher der Begriff VolksHERRschaft, ein patriarchalischer Begriff, ein Begriff, der den Vorrang des Mannes betont. Also auch diese Staatsform war im Grunde eine Oligarchie.

Hat sich daran Wesentliches geändert?

In unseren westlichen Demokratien haben, von geringen Einschränkungen abgesehen, alle Staatsbürgerinnen und –bürger das gleiche (nicht dasselbe) Recht auf politische Teilhabe, wenn sie unbescholten und im Wahlalter sind. Das ist der formale, der ideelle Rahmen, der vorgegeben ist. Aber immer wieder haben sich seit der französischen Revolution Machtcliquen und Machtzentren herausgebildet und demokratische Ansätze zerstört. Das begann mit Napoleon, setzte sich mit dem Bonapartismus fort und endete in Faschismus und Stalinismus. Dabei sollte in den Ostblockstaaten der Begriff „Volksdemokratie dem Volke suggerieren, dass es tatsächlich herrsche. Volksdemokratie ins Deutsche übersetzt: Volksvolksherrschaft!

Und heute? …ist das Volk zum „Wahlvolk degradiert und fremdbestimmt, und die Politik wird weitgehend vom multinationalen Großkapital vorgegeben. Die PolitikerInnen in Regierung und Opposition sind es nur noch dem Namen nach. Sie sind bis auf wenige, zumeist einflusslose Ausnahmen willige oder unfreiwillige Agenten des Kapitals.

Die Macht ist nicht in den Händen des Volkes.

Echte Demokratie, volle Selbstbestimmung, wird es nie geben können. Das Ideal der Aufklärung ist nur annähernd zu erreichen. Deshalb sollten wir es aber nicht einer so genannten Realpolitik opfern. Im Gegenteil, Elemente direkter Demokratie, angewendet in überschaubaren Teilbereichen wie Stadtplanung und Stadtökologie, können in unserer Gesellschaft politisches Bewusstsein entwickeln helfen, Bewusstsein der Verantwortung für das Gemeinwesen und die Fähigkeit, politisch zu denken und zu handeln.

Wir brauchen keine neue deutsche Verfassung. Aber unser Volk, unsere Gesellschaft, ist in einer Verfassung, die einer geistigen, einer kulturellen Erneuerung bedarf.

 

 

 

 

Zurück zum Vaterland?

 

 

Wenn ich ans Vaterland denke, dann fallen mir zuerst meine Pickelhaubensoldaten ein. Sie waren aus Zinn. Ich hatte sie vom Urgroßvater geerbt und musste sie wenige Jahre später, um 1939, durch Plastiksoldaten der Deutschen Wehrmacht ersetzen.

Schon der römische Dichter Horaz hatte gesungen: „Dulce et decorum est pro patria mori (Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben). Er starb allerdings als alter Mann im Jahre acht vor unserer Zeitrechnung vermutlich im Bett.

Auch wir sollten sterben: „für Führer, Volk und Vaterland. Spätestens 1945. Da hatte ich gerade mal 18 Jahre gelebt.

„Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an! ließ ein deutscher Dichter einen Schweizer rufen: Schiller den Tell.

Und 1813 dichtete E. M. Arndt: Was ist des Deutschen Vaterland?

1813 hatte nämlich Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, angeordnet, dass jeder Landwehrmann ein Kreuz aus weißem Blech an seiner Mütze tragen musste. Darauf stand: „Mit Gott und Vaterland. Das Koppelschloss war dafür zu klein. Da ging es nur: „Mit Gott.

Max von Schneckenburger hingegen, dem das Mutterland offenbar mehr bedeutet hat, beschwichtigte 1840 seine Landsleute: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein.

Und in den 1870er Jahren beschimpfte der deutsche Kaiser (oder war es Bismarck?) die Sozialdemokraten als „vaterlandslose Gesellen, denn bei ihnen stieß die Kriegstreiberische Politik der deutschen HERRENkaste auf Ablehnung.

Das Vaterland. Es lieben? „Ich liebe meine Frau soll ein deutscher Bundespräsident auf diese Frage geantwortet haben: Heinemann.

„Patriotismus leitet sich bekanntlich von pater = „Stammvater, Urvater, Vater ab. Ein enger Verwandter: das Wort „Patriarchat, was nach WAHRIG u. a. „absoluter Vorrang des Vaters in der Familie bedeutet, auch Vaterherrschaft in Gesellschaft und Staat. Noch heute zeigen sich überall patriarchalische Verhaltensweisen und Strukturen. Letztere sind derart verinnerlicht, dass die meisten Menschen sie nicht bemerken, selbst viele Frauen nicht. Es gibt, sagen sie, immer mehr Frauen in Führungspositionen von Wirtschaft und Politik, an der Spitze der Wissenschaft, in Männerberufen, sogar beim Militär.

Ist es das? Ist dies Emanzipation? Was denken und was tun denn diese Frauen? Die meisten von ihnen denken in den von Männern geschaffenen Kategorien und bedienen den ebenfalls von Männern geschaffenen HERRschaftsapparat. Sie sind Patriarchalinnen und - das versteht sich von selbst - Patriotinnen. Manche scheuen sich nicht einmal, Soldaten in den Krieg zu schicken oder, wie die Thatcher, einen solchen sogar zu führen - um ein Stückchen Fels im Südatlantik (1982).

Patriotismus hat stets dazu gedient, Untertanen zu disziplinieren und ihnen Opfer abzuverlangen, um Herrschaftsinteressen besser durchsetzen zu können und um den Reichtum der Reichen zu vermehren. Ich denke, wir sollten diesen nationalkonservativen Anachronismus endlich hinter uns lassen. Aber es gibt ein Mutterland! „Mutterland steht für Kultur, Kreativität, Güte und Toleranz. Das 21. Jahrhundert sollte ein kosmopolitisches sein. Als Kosmopoliten, als Weltbürger, haben sich bereits Kant und Goethe verstanden.

 

 

Ich wurde gefragt:

»Geht es Ihnen um den Patriotismus an sich oder um dessen Anwendbarkeit (ob der Begrifflichkeit) auf Frauen?«

Antwort:

Mir geht es darum, auf die geschlechtsspezifische Dominanz, nämlich die VorHERRschaft des Mannes in Gesellschaft und Staat und bei entsprechenden Ausdrucksformen (Sprache z. B.) aufmerksam zu machen. Ich habe mich unter anderem auch einige Jahrzehnte lang mit feministischen Studien befasst, weil ich es für sehr wichtig halte, dass wir Männer erfahren, wie kritische, emanzipatorische Frauen die soziale, kulturelle und politische Lage von mehr als die Hälfte der Menschheit sehen und beurteilen. Das mag vielen meiner Geschlechtsgenossen nicht gefallen. Aber damit sollte man(n) sich auseinandersetzen.

Der Frager schrieb, wenn er sich ansehe, »was Deutsche im Verlauf der letzten Jahrhunderte für bedeutende Erfindungen zur Menschheitsgeschichte beigetragen haben«, erfülle ihn das mit Stolz.

Antwort:

Ich freue mich mehr darüber, wenn Wissenschaftler/innen, AutorInnen und Politiker/innen aus der „Dritten Welt den Nobel-Preis erhalten. Über den Missbrauch von Wissenschaft gerade in Deutschland oder in einem anderen, neuerdings von religiös-nationalistischen Fundamentalisten beHERRschten Staat sollten wir nicht hinwegsehen. Noch heute werden in Vietnam Agent Orangegeschädigte Kinder geboren.

Der Frager schrieb, dass »üblicherweise (...) „Mutterland nur als geographischer Begriff verwendet (wird), während „Vaterland für ideelle Werte steht«, und auch ein anderer Diskutant wies auf die verschiedenen Bedeutungen der Begriffe Mutter- und Vaterland hin.

Dies entspricht der herkömmlichen Sprachregelung. Wikipedia verweist auf den Zusammenhang mit dem Kolonialismus:

»Der Ausdruck Kolonialismus (v. lat.: colonia Niederlassung, Ansiedlung) bezeichnet die auf Erwerb und Ausbau von Kolonien gerichtete Politik unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen, militärischen und machtpolitischen Nutzens für das Mutterland bei gleichzeitiger politischer Unterdrückung und wirtschaftlicher Ausbeutung der abhängigen Völker. Außerdem spielte die Missionierung eine große Rolle.«

Eine schöne Mutter ist es, die ihre Söhne hinausschickt, um andere Völker zu unterjochen. Oder waren es nicht doch vielmehr Männer, die – sprachlich – ihre Mütter vorgeschoben haben? Und woran hingen die Siedler, die colons, in den „Kolonien? Nicht mehr am VATERland, sondern am Mutterland?

Das nationalstaatliche Denken wird zuerst in Europa an Einfluss verlieren und nach einigen Generationen verschwunden sein wie die vielen Kleinstaaten aus Deutschland, deren Rest Herr Stoiber hütet. Ein Europa ohne Grenzen ist keine Utopie. Die EINE WELT beginnt in unseren Köpfen und bei unseren Empfindungen. In der Kunst, in der Musik, in der Malerei, in der Literatur, in der Philosophie, in den Wissenschaften gibt es sie bereits! Da ist für Deutschtümelei kein Platz.

Ich muss also selber bekennen: Ich habe kein Vaterland und vermisse keins. Aber ich habe ein Mutterland, das Land, in dem ich geboren wurde, natürlicherweise nicht vom Vater, und ich habe eine Muttersprache, die es mir ermöglicht, mich meiner Identität in Worten zu vergewissern. Aber ist die Frage nach der eigenen Identität überhaupt so wichtig? Sind wir nicht alle mit allem verbunden? Wenn wir diese Frage bejahen, dann sollten wir über die kulturellen und über die politischen Konsequenzen des Kohärenzprinzips, das solchen Gedanken zu Grunde liegt, nachdenken.

 

 

 

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